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Wort zum Sonntag

Heute von Pfarrer i.R. Hans-Jürgen Feldmann

Hans-Jürgen Feldmann ist Pfarrer im Ruhestand.

Das biblische Buch Hiob beginnt und schließt mit einer frommen Erzählung, die an zwei Schauplätzen spielt: im Himmel und auf der Erde. Der »Satan«, ein überirdischer Staatsanwalt und nicht zu verwechseln mit dem Teufel, wirft vor Gott die Frage nach den Motiven von Hiobs Frömmigkeit auf. Nicht »umsonst« sei dieser fromm; es gehe ihm nämlich gut. Sollte sich das ändern, werde er seinem Glauben abschwören. Gott erlaubt daraufhin, den nichtsahnenden Hiob auf härteste Proben zu stellen; sein Leben allerdings sei tabu. So verliert Hiob zuerst seinen gesamten Besitz und alle seine Kinder; danach wird auch noch sein Körper mit eiternden Geschwüren überzogen. Hiob aber bleibt bei seinem Glauben und bestätigt damit das Ehrenwort, mit dem Gott selbst sich für ihn verbürgt hatte. Am Ende wird er dafür in allen Stücken reichlich entschädigt.
In diese Erzählung hinein zeichnet später ein anderer Dichter einen ganz anderen Hiob. All die Fragen, die Menschen angesichts unbegreiflichen Unheils zusetzen und verzweifeln lassen, kommen jetzt schonungslos zur Sprache. Dieser zweite Hiob, der auch die frommen Sprüche seiner Freunde zerfetzt, ist überhaupt nicht geduldig und gottergeben. Er stellt Gott zur Rede und klagt ihn an. Er ist verzweifelt und verflucht den Tag seiner Geburt. Sein Leben ist für ihn nur noch ein dumpfes, freudloses Überleben und Vegetieren.
Es verschlägt einem den Atem, daß die Bibel, die doch von Gott handelt, solche Gedanke und Äußerungen überhaupt zuläßt. Aber gerade das gehört zu ihrer Größe. Was Menschen denken und fühlen dürfen, wird nicht einer Zensur unterworfen. Darüber, wie jemand in den Lebenskrisen verzweifelnd unterliegen kann, redet dieses Buch nicht aus dem Geist des Verurteilens, sondern aus dem des Verstehens heraus. Es ist ja auch einfach nicht wahr, daß der Glaube allen Problemen des Lebens gewachsen, ihnen vielleicht sogar überlegen sei.
Das Buch Hiob ist darüber hinaus viel radikaler als manche Spielart moderner Gottlosigkeit. Denn diese sagt sich oft genug nur von einer bestimmten Gottesvorstellung los, von dem sogenannten »lieben Gott«, der die Welt in Ordnung hält. Hiob dagegen erfährt Gott selbst wie seinen schlimmsten Feind, der alles das zerstört, was ihm lebenswert erscheint. Aber er hält trotzdem daran fest, daß es eben Gott ist, und das, obwohl er darin keine gerechte Strafe für eine konkrete Schuld oder ein begangenes Unrecht erblicken kann.
Nach vielen qualvollen Kapiteln erst beginnt Hiob zu begreifen, daß er von Gott und seinen Plänen so gut wie nichts versteht. Sämtliche Erkenntnisse im Hinblick darauf zerbrechen ihm. Denn Gott erscheint ihm wie aus einem Wettersturm und überschüttet ihn mit einer Kaskade von Fragen, auf die er allesamt die Antworten schuldig bleiben muß. So ahnt er - trotz aller Unbegreiflichkeit - doch eine Ordnung des Ganzen, für die sein eigenen Hirn allerdings zu klein ist. Aber auf diese Weite entsteht in ihm das Vertrauen, auch sein eigenes Dasein möchte aller vordergründigen Sinnlosigkeit zum Trotz dennoch sinnvoll sein.
Der christliche Glauben geht noch einen entscheidenden Schritt weiter: Gott ist nicht nur der aller Vernunft überlegene Geist, den kein Mensch je wird fassen können. Vielmehr wählt er aus noch viel unerfindlicheren Gründen den Weg seiner eigenen Erniedrigung und teilt - das ist das Thema der gegenwärtigen Passionszeit - das Leben und Sterben der Menschen bis in die letzten Konsequenzen.
Denn im Sterben Jesu Christi am Kreuz nimmt Gott selbst die Bedingungen des Menschseins auf sich, die Lasten des Daseins und seine Unbegreiflichkeit, die Folgen von Schuld, die Angst und das Gefühl der Gottverlassenheit. Er beglaubigt damit das Bekenntnis: »Der Herr ist nahe denen, die zerbrochenen Herzens sind, und hilft denen, die ein zerschlagenes Gemüt haben.« Auch das ist ein Geheimnis, das die Vernunft letztlich übersteigt, aber ein solches, mit dem man das Leben und das Sterben bestehen kann. Denn selbst in der Nacht der Verzweiflung wird niemand losgelassen.

Artikel vom 24.03.2007