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»Es ist schwer, wenn ein Kind stirbt«
Der Ambulante Kinderhospizdienst Paderborn begleitet Familien mit schwerkranken Kindern
Paderborn (WB). Kinderkrankheiten gehören zum Leben. Nicht immer sind es Mumps oder Masern, die das Familienleben kurzfristig durcheinander wirbeln. »Einige Kinder leiden an einer lebensverkürzenden Erkrankung. Es sind Kinder, das heißt, sie erreichen normalerweise nicht das Erwachsenenalter«, erklärt Odilia Wagener. Im Ambulanten Kinderhospizdienst Paderborn begleitet die Koordinatorin mit 22 ehrenamtlichen Helfern Familien mit schwerkranken Kindern.
In erster Linie sind es Stoffwechsel- und Erbkrankheiten, an denen die Kinder erkrankt sind, die der Kinderhospizdienst im Umkreis von 50 Kilometern besucht. Krankheiten wie Trisomie 18 oder Mukopolysaccharidose - kurz MPS. »Das ist eine Krankheit, die spätestens im zweiten Lebensjahr diagnostiziert wird. Die Kinder bauen körperlich und geistig ab«, beschreibt Odilia Wagener das Krankheitsbild. Die Lebenserwartung dieser Kinder liegt zwischen sieben und zehn Jahre, bei der schwächsten Form (Grad III) der Erkrankung kann der Nachwuchs das 20. Lebensjahr erreichen.
»Ein Kind mit MPS kann in seiner hyperaktiven Phase nicht eine Minute alleine bleiben«, erklärt die 43-Jährige, »denn es ist extrem unruhig. Die Kinder haben eine grenzenlose Power, leben in der kurzen Zeit sehr intensiv, bis der Körper nicht mehr kann.«
Zu wissen, dass ein Kind sterben wird, belastet Körper und Seele gleichermaßen. Zu wissen, jetzt hat es mich vielleicht zum letzten Mal angelächelt, scheint unerträglich. »Die Kinder anderer entwickeln sich fort, das eigene zurück«, beschreibt die Religionspädagogin die für mache Eltern ausweglose Lage.
Viele Familien fühlen sich in dieser Situation unverstanden und isoliert. Sie orientieren sich an ebenfalls Betroffenen, die allerdings oft weit weg sind. Großeltern sind auch nicht immer in der Nähe, um die Eltern zu entlasten.
Glücklicherweise gibt es den Ambulanten Kinderhospizdienst. »Wir versuchen, die Familien zu begleiten«, sagt Odilia Wagener. Wenden sich die Eltern an den Dienst, gibt es Gespräche und Überlegungen, wie die Last auf breitere Schulter verteilt werden kann. Ein- oder zweimal in der Woche bekommt die Familie dann für zwei bis drei Stunden Besuch von einem ehrenamtlichen Mitarbeiter des Dienstes. »Wir unternehmen entweder etwas mit dem kranken Kind, mit den Geschwistern oder sind den Eltern Gesprächspartner - je nach Bedarf«, erzählt Odilia Wagener. Schweigepflicht ist selbstverständlich.
Die kranken Kinder benötigen alle Aufmerksamkeit, die gesunden kommen oft zu kurz. Schwimmen gehen, Hausaufgaben machen, spielen - ĂŠalles das, was Eltern auch leisten, übernimmt der Kinderhospizdienst.
Mit dem Unterschied, dass Themen wie Verlust und Tod stets präsent sind. »Kinderhospizarbeit ist Lebensbegleitung, die in eine Sterbebegleitung mündet.« Dennoch ist der Dienst bemüht, Normalität in der Familie eine Chance zu geben. »Wir kommen auch, wenn es mal kracht, für uns muss die Küche nicht aufgeräumt werden«, beschreibt Odilia Wagener den Idealfall. »Ihr sollt normal mit uns umgehen, uns nicht betreuen, nicht betüddeln«, bringt Odilia Wagener einen Herzenswunsch der Eltern zum Ausdruck.
»Es kann sein, dass die Kinder noch ein Jahr oder vielleicht fünf Jahre leben. Wir gehen dieses Stück Lebensweg gemeinsam«, weiß die Koordinatorin. Ein 80-stündiger Befähigungskurs vermittelt den Ehrenamtlichen das Rüstzeug, um den Familien Hilfestellung leisten zu können. Hier geht es zum Beispiel um Selbsterfahrung, Entwicklungspsychologie und Krankheitsbilder. Die Ehrenamtlichen sind zwischen 23 und 67 Jahre alt. Sie investieren vier bis fünf Stunden pro Woche. Die Fahrtkosten werden erstattet. Einzige Voraussetzung: »Man muss offen für andere Menschen und andere Lebenssituationen sein«, fasst Odilia Wagener zusammen.
Wer nicht in eine Familie möchte, weil er an seine Grenzen stößt, kann in der Öffentlichkeitsarbeit des Ambulanten Kinderhospizdienstes mitarbeiten. Der Dienst verbindet Eltern und knüpft Kontakte zu Kinderärzten, Kindergärten, Schulen, Kinderpflegediensten und Bestattern. Es ist Vortragsarbeit zu leisten, um den Verein bekannt zu machen. Das ist besonders wichtig, da der Verein sich aus Spenden finanziert und nur ein Teil der Kosten über die Krankenkassen abgerechnet werden kann.
Der Ambulante Kinderhospizdienst e.V. ist dem Deutschen Kinderhospizverein angeschlossen, der 1990 aus einer Selbsthilfegruppe entstanden ist. Im Dezember 2005 hat der Paderborner Dienst seine Arbeit aufgenommen.
Für Eltern ist die Unterstützung kostenlos. Viele scheuen sich allerdings, die Entlastung in Anspruch zu nehmen. »Ihnen ist zwar bewusst, dass ihr Kind nicht alt werden wird. Die Inanspruchnahme des Dienstes manifestiert aus ihrer Sicht jedoch endgültig: Unser Kind wird sterben«.
Der Kinderhospizdienst ist unter der Telefonnummer (05251) 3 98 87 98 zu erreichen.
Ellen Grundmann

Artikel vom 06.04.2007