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Europas größte
Mutantenkollektion

Genomforschung an Modellpflanze

Bielefeld (sas). Welches Gen ist für den Wuchs einer Pflanze zuständig? Welches steuert den Blühzeitpunkt? Und welches reguliert den pflanzlichen Hormonstoffwechsel? Zu gerne wollen die Genomforscher wissen, wie welches Gen wirkt.
Pflanzliche Mutanten können ihnen helfen, diese Frage zu beantworten. Biologen der Universität Bielefeld versorgen Kollegen in aller Welt mit den entsprechenden Samentütchen. Sie haben die europaweit größte und weltweit zweitgrößte Sammlung mit transgenen Pflanzen bereit gestellt.
Arabidopsis thaliana, die Ackerschmalwand, ist die Modellpflanze, die Grundlage der Bielefelder Mutantenkollektion ist. Denn das Pflänzchen ist nicht nur klein, handlich und anspruchslos, sondern hat darüber hinaus einen Generationenzyklus von sechs bis zwölf Wochen. Zudem ist das Genom, also die Gesamtheit der Gene, dieser Pflanze bekannt. Mutationen, also genetische Veränderungen, erzeugen die Wissenschaftler mit Hilfe eines Bodenbakteriums, dessen Genom ebenfalls entschlüsselt ist. Sie nutzen also schlicht einen natürlichen Mechanismus. »Agrobacterium tumefaciens infiziert die Pflanze gerne, um sie dazu zu bringen, einen Nährstoff zu bilden, von dem das Bakterium lebt«, erläutert Prof. Dr. Bernd Weißhaar, der das Projekt in Bielefeld leitet. Dazu wird ein Stück der bakteriellen DNA, also Träger des Erbgutes, in die pflanzliche DNA eingeschleust.
Ob und welche Pflanzen in seinem Gewächshaus infiziert sind, kann Weißhaar leicht herausfiltern: »Die infizierten Pflanzen werden resistent gegen ein bestimmtes Antibiotikum, die anderen gehen ein.« Die, die überleben, sind also transgen. Fragt sich nur, an welcher Stelle die DNA des Bakteriums in die der Ackerschmalwand eingeschleust wurde und dort das Ursprungsgen lahmgelegt, quasi »ausgeschaltet« hat. Durch einen Trick, die Polymerase-Kettenreaktion, bringen die Biologen nun die Fusionsstellen dazu, sich zu vermehren - und können damit die »Insertionsstelle« im Pflanzengenom entlarven. Die Bioinformatik sagt ihnen dann, in welchem Gen das eingefügte DNA-Stückchen liegt.
93 000 »Insertionslinien« - also Mutanten - haben Weißhaar und die Kollegen vom Kölner Max-Planck-Institut für Züchtungsforschung charakterisiert. Zum Nutzen von Wissenschaftskollegen in aller Welt. »Wir kennen 30 000 Gene von Arabidopsis, wir wissen aber nur von 3 000, welche Funktion sie haben. Was machen die übrigen 27 000?« Genomforscher aus den USA, aus Ägypten, Frankreich oder der Schweiz können nun Zugriff auf eine internationale Datenbank nehmen, in die die Genomsequenzen eingestellt sind. Ganz im luftleeren Raum agieren sie nicht, in der Regel wissen oder vermuten sie etwa, welche Gene was bewirken - und bestellen sich nun Mutanten, um sie mit dem Original, mit der Wildform zu vergleichen. Und sie erfahren dann oder erhalten die Bestätigung, ob »ihr« Gen für Inhaltsstoffe der Pflanze, für Blütenfarbe oder Samenbildung zuständig ist.
Ihre Bestellung geht nach Bielefeld oder nach Nottingham: Dorthin haben die Biologen der Uni an eine internationale Stammsammlung Linien abgegeben, um sie zu sichern, wenn ihr Projekt jetzt bald ausläuft. Mehr als 58 000 Samentütchen gibt es dort bereits.

Artikel vom 23.03.2007