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Neue Chance auch
ohne Führerschein

Zehn Jahre Epilepsie-Rehaklinik Bethel

Bethel (WB). Was ist das, was passiert mit ihm? Plötzlich verkrampfen sich die Muskeln, er kann sich nicht mehr bewegen. Nach wenigen Sekunden ist der Spuk vorbei. Auslieferungsfahrer Helmut Meier (Name geändert) kriegt es mit der Angst zu tun.

Ein paar Mal hat es den 34-Jährigen schon auf diese Weise erwischt, während er am Steuer saß. Seine Freundin Petra äußerte als erste den Verdacht, es könne sich vielleicht um eine Epilepsie handeln. Die Untersuchungen bestätigten die Vermutung zunächst nicht. Dann die Wende: Helmut Meier bekam nach einer Auslieferungstour einen Anfall und konnte nur hilflos zugucken, wie er auf einen Baum zuraste. Es entstand am Wagen ein Totalschaden; zum Glück wurde niemand verletzt. Daraufhin stellte Helmut Meier das Autofahren ein und wurde ins Epilepsie-Zentrum Bethel überwiesen.
Die erfahrenen Fachärzte fanden schnell heraus, dass Helmut Meier tatsächlich Epilepsie hat. Die Medikamente, die er verschrieben bekam, halfen sofort. Doch ganz anfallsfrei war er nicht; das bedeutete Fahrverbot. Um ihm trotzdem eine berufliche Zukunft zu ermöglichen, ging Helmut Meier in die Reha-Abteilung des Epilepsie-Zentrums.
Diese Klinik hat sich ganz darauf spezialisiert, die psychosoziale Situation der Menschen mit Epilepsie zu verbessern. »Primär geht es darum, eine drohende Erwerbsunfähigkeit abzuwenden. Deshalb wird die berufliche Belastbarkeit in der Klinik optimiert, sagt Rupprecht Thorbecke, Leiter der sozialtherapeutischen Dienste der Reha-Klinik.
Als diese vor zehn Jahren eröffnet wurde, gab es noch nichts Vergleichbares in Deutschland. Die Klinik war die erste ihrer Art in Deutschland und umfasste zehn Plätze. Mittlerweile gibt es 25 Plätze, die jährlich rund 200 Patienten nutzen. »Die Konzepte für die Rehabilitation haben wir in der Praxis selbst entwickelt«, sagt Dr. Ulrich Specht, der ärztliche Leiter. Und: »Wir gehen in die Firmen und erarbeiten und mit den Chefs Lösungen«, erläutert Rupprecht Thorbecke.
In Deutschland gebe es gute Hilfen für Arbeitgeber, die Menschen mit Epilepsie beschäftigten, so Thorbecke weiter. Darüber hinaus erhalten auch epilepsiekranke Menschen, die Hilfen, die sie brauchen, um weiterhin einer Tätigkeit auf dem ersten Arbeitsmarkt nachzugehen. Manchmal müssen sie umschulen, zum Beispiel Maurer oder Erzieher. Manchmal bietet sich aber in derselben Firma ein Arbeitsplatz an, wie bei Helmut Meier, dem Auslieferungsfahrer ohne Führerschein. »Herr Thorbecke hat mit meinem Chef gesprochen, damit ich nicht arbeitslos werde. Jetzt arbeite ich im Lager. Zusätzlich wurde extra für mich eine Geldzählmaschine angeschafft, um meinen Aufgabenbereich zu erweitern«, erzählt Helmut Meier.
»Epilepsie und Führerschein ist eines der brennendsten Probleme für die Betroffenen. Bei den Fachärzten gibt es auf diesem Gebiet große Unsicherheiten«, sagt Dr. Ulrich Specht. Deshalb veranstaltete die Rehabilitationsklinik eine Fachveranstaltung zum Thema: »Fahreignung bei Epilepsie und assoziierten Störungen«.

Artikel vom 22.03.2007