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Kino steckt an: Erfahrungen eines Filmhistorikers und Filmkritikers

»Kunst ist nicht Selbstzweck, sondern tatsächlich Medium«
Von William J. Park


Am Sarah Lawrence College in Bronxville/New York war ich Professor für englische Literatur. Ich beschäftigte mich viel mit Filmgeschichte und lehrte dort dann auch Film - als Filmhistoriker und Filmkritiker.

Die »Motion Pictures Producers Association« (wörtlich: »Vereinigung der Hersteller bewegter Bilder«), weltbekannt unter dem Namen »Hollywood«, nahm 1967 Abschied von dem Reglement des seit 1934 geltenden »Production Code«, eines Codex der Selbstverpflichtung der Filmproduzenten über Filminhalte und -darstellungsweisen. Dieser Wechsel hatte nicht nur katastrophale Folgen für das moralische Niveau der Filme, sondern auch nachhaltigen Einfluss auf mein Leben.

»Tatsächlich wuchs ich mit den
Filmen auf, denen
ich - nächst
meiner Mutter -
eine halbwegs ordentliche moralische Bildung verdankte.«
   In der Schule und im Studium hatte ich mich vor allem mit Literatur beschäftigt und die Freizeit vor allem im Kino verbracht. Tatsächlich wuchs ich mit den Filmen auf, denen ich - nächst meiner Mutter - eine halbwegs ordentliche moralische Bildung verdankte. Denn zu Zeiten des »Code« boten die Filme im Großen und Ganzen eine positive christliche Sicht des Lebens. Liebe und Opferbereitschaft wurden großgeschrieben. Damit war 1967 Schluss.

Auf der Leinwand herrschte sehr bald ein neues Bild vom Leben: mit allgegenwärtiger Blasphemie, ungebremster Gewalt, offenem Sex, Streit und Selbstbehauptung - alles unter der Flagge von Freiheit und Aufklärung. Letztere wurde oft bespöttelt als »Malibu-Aufklärung«.

Gerade um diese Zeit startete ich am Sarah-Lawrence-College, einem reinen Mädchen-College, meinen Film-Unterricht. Es war eine große Zeit des Films. Von sich reden machten der italienische »Neorealismus«, die französische »Neue Welle«, die englischen »Zornigen jungen Männer«, Ingmar Bergman in Schweden sowie Kurosawa, Ozu, Mizoguchi in Japan sowie Ray in Indien. Die akademische Welt lobte den Film sogar zur Hauptkunst des 20. Jahrhunderts hoch.

Der Filmunterricht war sehr beliebt. Er nahm Ausmaße an, dass ich das Fach Literatur an den Nagel hängen und nur noch Film unterrichten wollte. Sarah Lawrence war eine angesehene Schule des Kunst-Nachwuchses in den USA, aus der manche Berühmtheit hervorgegangen war. Damals hatte ich, das sollte ich vielleicht hinzufügen, mit Kirche nichts zu tun. Ich war ein abständiger Protestant. Allerdings widerstrebte mir der Atheismus, und zwar intellektuell. Christlichen Wahrheiten stimmte ich vage zu. Aber Leute, die christliche Religion praktizierten, hielt ich für frömmelnde Heuchler.

Den Wechsel in Hollywood hieß ich anfangs willkommen. Über die Sexualmoral von James Bond schrieb ich wohlwollend und zustimmend. Das Werk von Sam Pekinpah, besonders »The Wild Bunch«, bewunderte ich und würdigte es als echt »homerisch«. Bald aber wurde mir das mit dem allgegenwärtigen Sex in den Filmen doch zum Problem.

Als frischgebackener »Profi« auf meinem neuen Gebiet sah ich mich genötigt, auf dem Stand der je neuesten Entwicklungen zu sein und geistreiche Kommentare dazu loszulassen. Auch über die Soft-Porno-Welt bekannter Produktionen. Es schien mir geradezu beruflich gefordert. Nun war ich ein Mann in den besten Jahren und umgeben von lauter jungen Frauen, die auf mich blickten - in Erwartung mindestens ästhetischer Anleitung. So folgten wie von selbst auch sexuelle Wünsche oder, wie ich es nannte: Verlangen nach »Lizenz zu lieben«. Die präsentierte sich mir ja täglich auf der Leinwand. Warum nicht das, was ich lehrte, auch leben? Warum nicht den Filmen nacheifern, wo sie mir doch das Leben lang schon Rollenmodelle geliefert hatten?

Gott sei Dank ging mir irgendwann auf, dass ich auf eine Katastrophe zusteuerte. Meine Ehe und meine Familie standen auf dem Spiel. Ich brach wirklich zusammen und weinte mir die Augen aus darüber, was mit mir los war. Mir stand klar vor Augen, dass ich mit dem Filmunterricht Schluß machen müsse, ja mit dem Kino überhaupt. Und dass ich irgendwo geistliche Hilfe brauchte, um diese »Krise« zu überstehen.

Ich ging also wieder in die protestantische Kirche, die ich als Kind kennengelernt hatte. Das war 1976. Ich war entschlossen, statt über Film jetzt Unterricht über religiöse Literatur zu halten. So etwas gab es in Sarah Lawrence nicht. Von der Bibel ging ich zu geistlichen Autobiographien über. Dabei stieß ich auch auf John Henry Newmans »Apologie«. Obwohl das Werk die Grundlagen des Protestantismus untergräbt, hielt ich daran fest, in der protestantischen Kirche zu bleiben.

Plötzlich geriet einer meiner Söhne in große Schwierigkeiten. Ich wollte nach Oregon fliegen, wo er wohnte, um ihm zu helfen. Aber er lehnte nicht nur jede Hilfe von mir ab, sondern machte mir schwerste Vorwürfe und erklärte, ich sei nicht länger sein Vater. Ich wußte nicht mehr, was ich tun oder wohin ich mich wenden sollte.

Eines Sonntagmorgens trieb es mich in die benachbarte katholische St.-Josef-Kirche. Dort war ich noch nie gewesen. Vor dem Bild der Muttergottes fiel ich auf die Knie und rief sie um ihre Hilfe an. Sie hatte schließlich auch einen sehr leidenden Sohn. Sie würde mich verstehen. Später habe ich einen kurzen Satz des heiligen Josemaría Escrivá (Gründer des Opus Dei) gelesen, der meine Situation damals fast: »Die schmerzensreiche Jungfrau; wenn du sie betrachtest, sieh auf ihr Herz. Sie ist die Mutter zweier Menschen, die sich gegenüberstehen: Er ... und du.« (Josemaría Escrivá, Der Weg, Köln [Ada

Artikel vom 24.03.2007