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Die neue Geschichte vom Auswanderer Karl

Regiesseur Johann Kresnik inszeniert im Bremer Güterbahnhof Stück nach Kafkas »Amerika«


Von Sabine Komm
Bremen (dpa). Schauspieler und Statisten rennen in Bremens altem Güterbahnhof von Szene zu Szene. 170 Meter lang sind die Bahnsteige. Mittendrin steht Regisseur Johann Kresnik und dirigiert sein Team. Andreas Seifert in der Rolle des Auswanderers Karl lässt er laufen, straucheln, verzweifeln. Für eine Liebesszene muss der Schauspieler über Autoreifen in eine Badewanne klettern.
Die Proben für das Theaterstück »Amerika« nach Kafkas gleichnamigem Auswanderer-Roman haben begonnen. Uraufführung wird am 14. April sein. Kresnik setzt auch diesmal auf politisches Theater an einem ungewöhnlichen Spielort. Vor zwei Jahren hatte seine Inszenierung der »Zehn Gebote« in einer Bremer Kirche wegen einer Nacktszene nicht nur in der Hansestadt für reichlich Aufregung gesorgt.
Der Güterbahnhof sei allein schon aus akustischen Gründen ein schwieriger Spielort, sagt der 67-jährige Österreicher während der Proben. Gleichzeitig passe der Raum perfekt zum Aufbruch und Scheitern von Karl. Wie die damaligen Auswanderer sind jetzt auch die Schauspieler des Bremer Theaters in der gigantischen Halle ständig in Bewegung. Auf den Bahnsteigen laufen sie zu den Bühnen, um zwischen Schlachtvieh, Betonmischern und der Freiheitsstatue aufzutreten.
Nacktheit als Sinnbild für Ausbeutung und Armut werde auch in dieser Inszenierung eine Rolle spielen, kündigt der Regisseur an. Denn in Deutschland würden bald Verhältnisse wie in Brasilien und Mexiko herrschen. »Auch bei uns gibt es inzwischen Menschen, die nichts mehr bedeuten und nichts mehr haben als ihren Körper.« Statistin Anita Matt, die in den »Zehn Geboten« eine der nackten Näherinnen gespielt hat, ist wieder dabei. Man müsse sich überwinden, sagt sie. Aber wenn es Sinn mache, finde sie das gut.
Seit Probenbeginn begleiten Live-Musiker dieses Migranten- Schicksal. Auf Metallrohren wird der Takt geschlagen. Komponist James Reynolds hat sich für »Amerika« von Blues bis Punk-Rock inspirieren lassen. Dass seine Musik zum Teil überbrüllt wird, begrüßt er: »Alles, was die Harmonie bricht, ist gut.«
www.bremertheater.com

Artikel vom 21.03.2007