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mas Verlag] 41982, Nr. 506). Ich weiß nicht, wie lange ich dort war.

Am nächsten Morgen erhielt ich einen Telefonanruf von der Freundin meines Sohnes. Sie erzählte, sie sei schwanger. Es sei ein Kind von ihm. Und sie werde das Kind bekommen, egal was er denke oder tun wolle. Zufall? Bald lösten sich auch die Schwierigkeiten für meinen Sohn. Die beiden heirateten, sind recht erfolgreich und haben zwei prächtige Teenager-Töchter.

Wieder »Zufall«: Stellvertretender Pfarrer an St. Josef war damals Father George Rutler, heute ein bekannter Fernseh-Prediger. Er sei ursprünglich ein anglikanischer Geistlicher gewesen, erzählte mir ein Kollege am Sarah-Lawrence. Über die Lektüre von Kardinal John Henry Newman sei er dann katholisch geworden. Als ich an diesem Tag von der Arbeit nach Hause ging, kam mir ein Priester entgegen. Ich sprach ihn an und fragte, ob er Father Rutler sei. Er bejahte. Dann nahm er mich mit zum Rektorat der St.-Josef-Kirche, wo ich ihn bat, mich in die katholische Kirche aufzunehmen.

Father Rutler ist assoziierter Priester der Priestergesellschaft vom Hl. Kreuz, die untrennbar zur Personalprälatur Opus Dei gehört. So empfahl er mir, doch geistliche Anleitung in Anspruch zu nehmen, und schickte mich zu Father Bob Bucciarelli. Der wohnte in New Rochelle / New York, nur vier Kilometer von meinem Haus entfernt, im Haus der Regionalkommission des Opus Dei - in dessen »US Headquarter« sozusagen.

Ungefähr zwölf Jahre vergingen. Dann habe ich den Filmunterricht wieder aufgenommen. Sarah Lawrence brüstete sich mit meinem Nachfolger in Filmgeschichte, dem bekannten Kritiker und Autor Gilbert Perez. Er und ich wurden Freunde. Und er ermunterte mich, das sich ständig ausweitende Filmprogramm gemeinsam zu bewältigen.

Von 1966 bis 1976 hatte ich über meine Kinobesuche Tagebuch geführt und darin zu jedem Film, den ich gesehen hatte, etwas geschrieben, manchmal recht Ausführliches. Als ich mit dem Filmunterricht aufhörte, war auch Schluss mit dem Tagebuch. Ich schaute mir zwar weiterhin Filme an, aber nicht so häufig wie zuvor. Nach nun jahrelang regelmäßigem Kirchenbesuch und geistlicher Lektüre fand ich, dass ich jetzt das Tagebuch wieder fortsetzen könnte, als Hobby wenigstens, so wie andere Briefmarken sammeln. Das Hobby wurde dann zur Herausforderung, Filmgeschichte professionell noch einmal ganz neu anzupacken!

»Filme waren jetzt für mich weder Anlässe für persönlichen Ehrgeiz oder Stolz noch schlicht Aufputschmittel. Sie wurden zu einem Mittel, Gott zu dienen.«
   »Gib mir einen Haltepunkt«, sagte Archimedes, »und ich bewege die Welt«. Ich hatte jetzt einen Haltepunkt: festen Boden unter den Füßen. Mit den Hilfen, die Christus und die Kirche uns an die Hand geben, konnte ich nun Filme ansehen, ohne moralische Verwirrung zu riskieren. Jetzt durfte diese Beschäftigung für mich sogar als Mittel der Heiligung meiner Arbeit und meines Lebens in der Welt gelten! Es war, als sei ich geimpft, wenn auch nicht immun gegen die Sünde, weil es das nicht gibt.

Filme waren jetzt für mich weder Anlässe für persönlichen Ehrgeiz oder Stolz noch schlicht Aufputschmittel. Sie wurden zu einem Mittel, Gott zu dienen. Die christliche Sicht des Lebens, die mir das Opus Dei vermittelte, befreite mich davon, Sklave des Zeitgeistes zu sein. Ich musste nicht mehr jede Mode mitmachen, wie Berufsjugendliche, die auch im Alter noch Pferdeschwanz tragen oder sich Ringe ins Ohr piercen. Keine Unterwerfung mehr unter irgendein Diktat der Zeit, auch wenn sie keineswegs alle schlecht sind! Zeitdiktate konnte ich nun viel genauer unterscheiden und viel objektiver darüber schreiben. Jetzt hatte ich einen Maßstab, einen nicht von Menschen gemachten, vielmehr zeitlos geltenden, dazu noch ganz natürlichen Maßstab.

Deutlicher als je zuvor ging mir auf, dass Kunst nicht Selbstzweck, sondern tatsächlich Medium ist. Wer sie zum Selbstzweck macht, erhebt sie zum Götzen. Sie ist vielmehr eines der vielen Mittel, die Gott uns geschenkt hat, um uns ihm näher zu bringen. Deshalb war alle große Kunst, ob gewollt oder nicht, wirklich religiöse Kunst. Sie vermittelte nicht bloß gesunde Moral, sie verknüpfte Zeit und Ewigkeit. Das macht sie unseres Studiums wert.

Ich durfte jetzt wählen, welche Filme ich sehen und über welche ich schreiben wollte. Kein Zwang mehr, alles sehen zu wollen, egal wie blöd oder schlüpfrig, nur um auf dem Laufenden zu sein und zu allem einen cleveren Kommentar parat zu haben. Es machte mir nichts mehr aus, einen akademisch ausgezeichneten Film, der unverschämt die Abtreibung verherrlichte, einfach nicht anzusehen. Einem anderen Film konnte ich trotz trüber Sexualmoral ein gutes Zeugnis ausstellen, weil er die Auseinandersetzungen eines jungen Mannes inszenierte, der sich, vor die Wahl gestellt, für die Wahrheit entschied. Es machte mir nichts aus, wenn andere katholische Filmkritiker meinen Beurteilungen widersprachen.

Diese neue Freiheit, die ich genoss, wurde, so paradox es klingen mag, von meinen einfühlsamen geistlichen Beratern gestützt. Sie setzten mich instand, Dinge mit Ruhe zu studieren, mich zu freuen und anderen zu helfen, das Wertvolle an der säkularen Filmkunst zu verstehen und anzuerkennen. 1976 hatte ich gemeint, mich aus der Welt zurückziehen zu müssen, um als Christ zu leben. Jetzt durfte ich die Welt leidenschaftlich lieben, ohne allerdings auf ihre schnöden Verlockungen hereinzufallen.

Und das Ergebnis? Das Schreiben fiel mir leichter. Kritiken zu Filmen, die ich für sehenswert hielt, wurden in die »Position Papers« übernommen, eine ausgezeichnete irische Monatsschrift. Dann wurden meine Arbeiten von Profi-Zeitschriften gedruckt. 1998 gewann ich den nationalen Preis der Katholischen Presse-Vereinigung der USA für einen Beitrag in Crisis. Darin stellte ich die 50 besten »katholischen« Filme heraus. Ausschlaggebend für war die säkulare Optik bei der Bewertung. Die von mir - aus katholischer Sicht - bevorzugten Filme waren nicht die oberflächlichen Bing-Crosby-Publikumslieblinge, vielmehr Werke mit moralischem und geistlichem Tiefgang wie »Ikiru« und »Groundhog Day/Und täglich grüßt das Murmeltier«.

An dieser Art katholischer Filmkritik nahm ein Leser Anstoß und schrieb: »aber Ikiru ist doch ein japanischer Film«. Andere fanden, ich mache mich lustig, wenn ich eine Komödie wie »Groundhog Day« ernst nähme. Dass katholische Filmkritik nur ausdrücklich katholische Filme, die in katholischem Milieu spielen, würdigt, halte ich Klerikalismus

Die drei bedeutendsten Direktoren von Hollywood im letzten Jahrhundert, Frank Capra, John Ford und Alfred Hitchcock, waren alle drei praktizierende Katholiken - gewiss zum Erstaunen jener »Aufklärer«, die überzeugt sind, der Katholizismus sei tot und stehe allen kreativen Künstlern als unbeweglicher Klotz im Wege. Kaum hat je einer von den drei einen Film gemacht, der direkt mit Religion zu tun hat.

Ihre wirklich großen Filme spielen vielmehr alle in der säkularen Welt und handeln von den menschlichen Dramen in ihr. Und doch sind sie ausgezeichnet durch echt christliche Sensibilität, durch eine Synthese von Liebe zur Welt und zu Gott.

Autor Prof. Dr. William Clark lehrte Literaturwissenschaft und Filmgeschichte am Clara Lawrence College, Bronxville/New York, und lebt heute als Filmkritiker in Kalifornien.

Artikel vom 24.03.2007