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Schulsystem erneut in der Kritik

UN-Bericht: mangelnde Chancengleichheit - Zöllner warnt vor neuem Streit

Berlin (dpa). Der Präsident der Kultusministerkonferenz (KMK), Jürgen Zöllner (SPD), hat vor neuem Streit über das dreigliedrige Schulsystem in Deutschland gewarnt.
Wenn sich die notwendige Reformdebatte nur auf die Schulformen konzentriere, »dann werden wir den entscheidenden Schritt nach vorne in der Bildungspolitik nicht machen«, sagte Zöllner gestern: »Die Schulformen sind sekundär.« Es gehe vor allem um die pädagogischen Anstrengungen für das einzelne Kind.
UN-Menschenrechtsinspektor Vernor Muñoz legte gestern bei der Vollversammlung des Menschenrechtsrates der Vereinten Nationen in Genf den Bericht über seinen Deutschlandbesuch vom vorigen Jahr vor. Darin übt er heftige Kritik an fehlender Chancengleichheit in Deutschland sowie an der Ausgrenzung von Behinderten in Sonderschulen.
Muñoz bekräftigte seine Kritik am deutschen Schulsystem. Die Chancengleichheit von Migrantenkindern, Behinderten und auch Schülern aus armen Familien sei nicht gewährleistet. Der UN-Experte beruft sich dabei unter anderem auf die PISA-Studie. Danach ist in keinem anderen vergleichbaren Industriestaat der Welt der Bildungserfolg eines Kindes so abhängig von seiner sozialen Herkunft wie in Deutschland.
Der UN-Menschenrechtsexperte forderte die Bundesregierung auf, durch weitere Forschung zu untersuchen, ob nicht die Zergliederung des deutschen Schulsystems und die frühe Aufteilung von zehnjährigen Kindern auf verschiedene Schulformen die Ursache für die fehlende Chancengleichheit sei. Auf Nachfrage sagte Muñoz, dass diese Untersuchungen »nicht zwangsläufig« zu einer Abschaffung dieses Systems führen müssten.
Zöllner sagte, zur Schulstruktur gebe es unter den Bundesländern unterschiedliche Positionen und Entwicklungen. Einige setzten auf den Erhalt der gegliederten Struktur, andere wiederum strebten mehr Integration an. Einig seien sich die Kultusminister darin, dass sich alle Anstrengungen auf die inhaltliche Verbesserungen konzentrieren müssten, wie die frühkindliche Bildung, Ausbau der Ganztagsförderung, Sprachunterricht für Migranten und mehr pädagogische Elemente in der Lehrerausbildung.
Der Vorsitzende des Philologenverbandes, Heinz-Peter Meidinger, bezeichnete den Muñoz-Bericht als »dünnen kalten Kaffee«. Der Schlüssel zu einer besseren Bildung in Deutschland liege in der Verbesserung der Unterrichtsqualität und in verstärkter individueller Förderung. Darin seien sich alle deutschen PISA-Forscher einig.
Nordrhein-Westfalens Schulministerin Barbara Sommer (CDU) hat das deutsche Schulsystem gegen die scharfe Kritik des UN-Inspektors Vernor Muñoz verteidigt. »Der Vorwurf, es gebe eine ausgeprägte Auslesementalität trifft nicht zu«, betonte Sommer. Sie unterstrich die Anstrengungen insbesondere bei der vorschulischen Sprachförderung und dem Ausbau der Ganztagsschulen. Dagegen forderte Ex-Schulministerin Ute Schäfer (SPD) die Landesregierung auf, »die wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht weiter zu ignorieren, sondern sich einer ideologiefreien Debatte über die beste Bildung zu stellen«.

Artikel vom 22.03.2007