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Mit der »Berliner Erklärung«
Vertrauenskrise überwinden

Europäische Union ist und bleibt trotzdem eine Erfolgsgeschichte

Von Dirk Schröder
Berlin (WB). Europa feiert an diesem Wochenende runden Geburtstag. Trotz aller Rückschläge und Krisen, die Europa in den vergangenen 50 Jahren durchlitten hat, dieses friedensstiftende Projekt ist und bleibt eine Erfolgsgeschichte.
Sie entwickelten Visionen, gaben Anstöße und überwanden Widerstände: (oben von links) Robert Schuman, Jean Monnet, Konrad Adenauer, (unten, von links) Walter Hallstein, Jacques Delors und Helmut Kohl. Sie gehören zu den wichtigsten Wegbereitern und Begleitern der europäischen Einigung.

Die sechs Gründerväter aus Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und den Niederlanden waren zwar schon damals unter dem Eindruck der noch nicht verheilten Narben des Zweiten Weltkriegs beseelt von dem Gedanken einer Friedensidee in Europa. Doch sie haben sich nicht erträumt, dass aus dem anfänglichen wirtschaftlichen Zweckverband westeuropäischer Nationen einmal eine Gemeinschaft von 27 und noch mehr Staaten wird.
Bei aller Euphorie über diese beispiellose europäische Friedensgeschichte darf nicht unerwähnt bleiben, dass auch Schatten über diesem Jubiläum liegen. Die Vertiefung der Europäischen Union ist hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Der Verfassungsvertrag, der die Union funktionstüchtig erhalten sollte, liegt weiterhin auf Eis und dürfte in dieser Form nicht verabschiedet werden. Und 50 Jahre nach den Römischen Verträgen steht Europa noch einmal vor einem Neuanfang, muss seine Verantwortung als Stabilitätsfaktor in der Welt wahrnehmen. Darf dabei aber nicht vergessen, seine Bürger mit ins Boot zu holen, was in der Vergangenheit nur allzu oft versäumt worden ist. Die Europa-Skepsis vielerorts und das Schimpfen auf »die da in Brüssel« kommt nicht von ungefähr. Wird das »Wir-Gefühl« der Bürger in der Gemeinschaft gestärkt, lässt sich aber auch diese Vertrauenskrise schnell überwinden.
Einen ersten Anlauf wollen die 27 europäischen Staats- und Regierungschefs am Wochenende mit der Unterzeichnung der von Bundeskanzlerin Angela Merkel ausgearbeiteten »Berliner Erklärung« nehmen. Auch wenn Einzelheiten noch nicht bekannt sind, sollen darin Zielvorgaben wie Klimaschutz, Innere Sicherheit und Steuerung der Migration festgelegt werden. Mit einer Entscheidung über die Zukunft des europäischen Verfassungsvertrages ist auf dem Berliner Gipfel aber noch nicht zu rechnen.
Als sich die sechs Staaten am 25. März 1957 im Konservatorenpalast auf dem Kapitol in Rom trafen, um Europa mit den »Römischen Verträgen« auf einen neuen Weg zu schicken, lag Dauerregen über der italienischen Hauptstadt. Dieses ungemütliche Wetter sollte aber allen Skeptikern zum Trotz nicht symbolhaft für die Zukunft Europas stehen, das in den vergangenen fünf Jahrzehnten trotz mancher dunkler Wolke zumeist einen strahlend blauen Himmel erlebte.
Die 1952 gegründete Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl, kurz Montanunion genannt, war die Keimzelle der 1957 in Rom geschaffenen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), aus der zehn Jahre später die Europäische Gemeinschaft und 1993 die Europäische Union (EU) wurde.
»Eine neue Ära in der Geschichte der europäischen Völker ist eingeleitet worden«, kommentierte 1957 Italiens Außenminister Gaetano Martino in Rom die Unterzeichnung des Vertrages über die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und des Vertrages über die Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft EURATOM. Für die Bundesrepublik Deutschland unterschrieben Bundeskanzler Konrad Adenauer und der Staatssekretär des Außenministeriums, Walter Hallstein.
Es war Adenauer, der von Anfang seiner Amtszeit an die Einbindung Westdeutschlands in die westlichen Strukturen betrieb und der mit der Aussöhnung mit dem »Erbfeind« Frankreich wichtige Weichen für das heutige Europa stellte. Hallstein war von 1958 bis 1967 Präsident der EWG-Kommission. Er setzte sich besonders für den Abbau der Zollschranken in der Sechsergemeinschaft ein und trieb den gemeinsamen Markt voran. Auch plädierte Hallstein früh für einen Beitritt Großbritanniens, der aber erst 1973 erfolgte.
Zählt man weitere wichtige Köpfe der europäischen Einigung auf, darf neben den beiden Franzosen Jean Monnet und Robert Schuman aus deutscher Sicht auch Altkanzler Helmut Kohl nicht fehlen. Für ihn ist die Einigung Europas bis heute eine Herzensangelegenheit. Zusammen mit Frankreichs Präsidenten Francois Mitterrand legte Kohl das Fundament für den inneren Ausbau der EU etwa durch den Binnenmarkt und die Erweiterung nach Osten.
Der »Kanzler der Einheit« war es zudem, der die Währungsunion vorantrieb. Auch wenn der Euro Stabilität gebracht hat, sind acht Jahre nach seiner Einführung viele Europäer von seiner Erfolggeschichte nicht überzeugt. Viele Deutsche trauern immer noch der geliebten D-Mark nach.
Doch diese Unzufriedenheit und andere Krisen sollten die Freude über diese Wertegemeinschaft in diesen Jubiläumstagen nicht trüben. Europa hat allen Grund zum Feiern. Auch wenn mancher es nicht mehr hören will: Die Ost-West-Spaltung ist überwunden. Die Union der 27 Mitgliedstaaten mit ihren 490 Millionen Einwohnern wird in der Welt als wirtschaftliche Großmacht und auch als Vorbild wahrgenommen.
Wenn dennoch nach einer Umfrage mehr als jeder zweite Deutsche nur geringes oder gar kein Vertrauen in die EU hat, müssen sich die Politiker fragen, was sie falsch gemacht haben. Die »Berliner Erklärung« kann ein erster Schritt aus der Krise sein. EU-Ratspräsidentin Angela Merkel hat sich erst in diesen Tagen noch einmal für eine Beschränkung der EU auf Kernkompetenzen ausgesprochen, um die Akzeptanz zu erhöhen. Und SPD-Fraktionschef Peter Struck verlangt eine sozialere Ausrichtung. »Jetzt muss das soziale Europa Konturen bekommen, damit die Menschen nicht das Gefühl haben, dass dem Einzelnen in dem großen Europa nicht mehr genügend Rechnung getragen wird.«
Trotz alledem: Am Wochenende darf gefeiert werden - 50 Jahre »Römische Verträge« und vielleicht ja auch bereits ein erster großer Schritt heraus aus der Vertrauenskrise.

Artikel vom 22.03.2007