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US-General
Henry Obering

»Seit mehr als einem Jahr Gespräche mit der NATO und mit Russland.«

Leitartikel
Raketenschild

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wissen Bescheid


Von Reinhard Brockmann
US-Raketen und -Radar an der Ostgrenze der NATO, im Gegenzug neue russische Mittelstreckenraketen jenseits einer Linie, für die es noch kein neues Wort gibt. Der »Eiserne Vorhang« aus Blockzeiten spannte sich jedenfalls woanders - und Einflusszonen, Vorfeldländer und dergleichen gibt es auch nicht mehr.
Die neue Debatte um einen US-Raketenschild versucht krampfhaft an alte Bilder anzuknüpfen. Schon warnen Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier und Claqueure der SPD-Linie wie Generalsekretär Hubertus Heil vor einem neuen Wettrüsten.
Das ist nicht gut. Schlecht ist, dass in der Tat sowohl die Spaltung Europas als auch der großen Koalition in Berlin zumindest rhetorisch auf dem Spiel steht.
Ach ja, die Schurkenrolle! Die ist natürlich auch schon besetzt. Fieslinge aus Washington schaffen angeblich Fakten rund um ganz Russland mit Hilfe Polens und Tschechien, ohne die NATO einzubeziehen. So weit die allseits verbreitete Version.
Vielleicht war deshalb das ungewöhnlich offene Gesprächs des US-Generals Henry Obering mit Regierenden, aber auch mit Journalisten in Kiew, Berlin und Paris letzte Woche so unangenehm, dass es fast zum diplomatischen Affront hochgezogen wurde.
Es gebe »seit mehr als einem Jahr Gespräche mit den Mitgliedern des Bündnisses und mit Russland«, teilte Obering der bass erstaunten europäischen Öffentlichkeit mit. Er habe die US-Pläne für einen Aufbau des Schutzschildes in Osteuropa in Gesprächen im Kanzleramt sowie mit der politischen Führung im Außen- und im Verteidigungsministerium erneut erläutert, setzte er in Berlin hinzu.
Kurzum, es geht gar nicht darum, dass die USA im stillen Kämmerlein neue Waffen schmieden. Schon erinnerten sich einige, dass noch zu rot-grünen Zeiten eine Arbeitsteilung in der NATO gegenüber den iranischen Atomplänen verabredet wurde: Die alte Welt geht den diplomatischen Weg, die neue den anderen...
Jetzt wissen wir also, wie sich die Amerikaner auf 2015 vorbereiten, wenn in Teheran und - nicht ausgeschlossen - in Nordkorea oder anderswo Atomraketen starklar sind.
Hierzulande droht losgelöst davon der erste außenpolitische Konflikt in der Koalition. Die SPD wittert eine Chance zu zeigen, wer die wahre Friedenspartei ist. Das Problem: Man darf nicht überziehen, weil sonst der eigene Außenminister isoliert wäre - daheim und in der westlichen Welt.
Unterdessen warnt Gernot Erler vor einem Irrglauben, dem auch bei der Union niemand anhängt: dass nämlich immer mehr Waffen zu mehr Sicherheit führten. Wer, lieber Herr Erler, hat das denn behauptet?
Schattenboxen ist mehr etwas für die eigene Psyche. Deshalb muss niemand fürchten, die Koalition werde wirklich am US-Raketenschild zerbrechen. Merkels gestrige Kritik nicht am Koalitionspartner, sondern an den USA, hat schon gezeigt, wie die Chefin ganz geschickt Dampf aus dem Kessel lässt.

Artikel vom 20.03.2007