19.03.2007 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Große Bandbreite
an Stimmungen

Musikverein mit gefühlvoller Emphase

Von Uta Jostwerner
Bielefeld (WB). Es müssen nicht immer die großen Passionen von Bach sein. Abseits des Weges gilt es so manche Blüte zu entdecken. Eine davon ist das Oratorium »Die sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze« von Joseph Haydn, das der Musikverein dankenswerter Weise mal wieder »ausgegraben« und am Freitag unter großem Beifall in der Oetkerhalle zur Aufführung gebracht hat.

Beim Hören stellt sich unweigerlich die Frage ein, warum das Werk heute nur noch selten aufgeführt wird. Es handelt sich um sieben langsame Adagio-Sätze nebst Einleitung, Zwischenmusik und einem Terremoto (Erdbeben), die mit sparsamen Mitteln eine große Bandbreite an Stimmungen und Emotionen transportieren. In eindringlicher Tonsprache kommen Schmerz und Verzweiflung ebenso zum Ausdruck wie Hoffnung, Dankbarkeit und Heilserwartung.
Das Werk steht für die letzte schöpferische Wende des Komponisten, mit der die Kette seiner großen Vokalwerke beginnt. Der deklamatorische Gestus der Sätze ist aus den jeweiligen Worten Jesus am Kreuze geformt und gibt Raum für innere Bewegung und geistliche Meditation. Eine Aufgabe, der sich Chor (Einstudierung Martin Fugmann und Wolfgang Helbich), Solistenquartett und städtisches Orchester unter der differenzierten Leitung von Wolfgang Helbich sehr engagiert und mit gefühlvoller Emphase annahmen. Mit großem Einfühlungsvermögen und rezitativischer Präzision nahmen die a-cappella geführten Einleitungsworte für sich ein. Die folgenden Betrachtungen bestachen in ihrer klangfrischen Ausdeutung, die viel Liebe zum Detail erkennen ließ. Lyrik und Empfindsamkeit des Werkes erfuhren dank klarer Zäsuren, differenzierter Tempi und Dynamik sowie kunstvoll gesteigerter Spannungsbögen eine einnehmend lebendige Vergegenwärtigung - bis hin zum lautmalerisch erzitternden Terremoto, bei dem der typisch Helbichsche Draufgänger-Charme genau richtig seine fesselnde Wirkung entfalten konnte. Verbunden durch die von Insa Güllemann mit differenziertem Rollen- und Dramaturgieverständnis dargebrachten Bibel-Rezitationen, ergab all dies eine runde Sache.
Nach dem doch recht empfindsamen, wenn auch einnehmendem Oratorien-Typ, bot die Missa Cellensis (Mariazeller Messe) einen erfrischenden Gegenpol. Flott und mit federnder Verve ging Helbich das für den Chor dankbare Werk an, das seinen Reiz unter anderem aus einer figurativen und hochklassischen Instrumentierung bezieht, bei der das Philharmonische Orchester glänzen durfte. Der auf Klangfrische und Präzision eingestellte Chor zeigte sich flexibel und reaktionsschnell in der Ausführung sämtlicher Vorgaben und das Solistenquartett mit Cornelia Samuelis (Sopran), Ursula Eittinger (Alt), Henning Kaiser (Tenor) und Andreas Wolf (Bass) fügte sich harmonisch und klangschön ein. Das Publikum in der respektabel gefüllten Oetkerhalle dankte mit lang anhaltendem Applaus.

Artikel vom 19.03.2007