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Code »Tiffy« war die Erlösung

18 Bundeswehrausbilder stehen Montag wegen Misshandlung vor Gericht

Von Christian Althoff
Schlangen (WB). Stromstöße, Faustschläge - 18 Ausbilder der Bundeswehr stehen von Montag an wegen Misshandlung, gefährlicher Körperverletzung und entwürdigender Behandlung in Münster vor Gericht.
Strafverteidiger Dr. Peter Oberwetter aus Gütersloh

Zur Riege der 36 Verteidiger gehören auch zwei Strafrechtler aus Ostwestfalen: Jann Popkes aus Schlangen (Kreis Lippe) und Dr. Peter Oberwetter aus Gütersloh vertreten einen der drei Hauptbeschuldigten - und rechnen mit einem Freispruch.
Es ist der umfangreichste Prozess in der Geschichte der Bundeswehr. Das Landgericht Münster hat eigens seinen großen Sitzungssaal umbauen lassen, um Platz für die Angeklagten, die Verteidiger und Berge von Papier zu schaffen. »Die Ermittlungsakten füllen 50 Leitz-Ordner«, sagt Strafverteidiger Jann Popkes. Gemeinsam mit seinem Kollegen Peter Oberwetter wird er von Montag an um die berufliche Zukunft des Hauptfeldwebels Michele H. (32) kämpfen.
Ihr Mandant, sagt Popkes, sei kein Schleifer, kein Menschenschinder. Der Vater zweier Kinder habe Auslandserfahrung in Bosnien gesammelt und sei 1997 für seinen Einsatz im Oderhochwasser belobigt worden. »Als Höhepunkt seiner Ausbildung hat er das harte Einzelkämpfertraining in Hammelburg empfunden«, sagt der Anwalt. Und einen Teil dieser positiven Erfahrung habe er jungen Rekruten vermitteln wollen.
So plante Michele H. 2004 als Ausbilder der Freiherr-vom-Stein-Kaserne in Coesfeld zusammen mit einem weiteren Hauptfeldwebel Nachtmärsche, bei denen die Rekruten schwere Baumstämme schleppen mussten und später von »Terroristen« überfallen, mit Kabelbindern gefesselt und mit verbundenen Augen zum Verhör in die Kaserne verschleppt wurden.
»Dieses Szenarium einer Geiselnahme sprachen die beiden Hauptfeldwebel mit ihrem Offizier durch, und es gab keine Einwände«, sagt Rechtsanwalt Peter Oberwetter. Doch während Michele H. bei einem der Nachtmärsche noch mit Tarnfarbe im Gesicht als »Terrorist« durchs Unterholz pirschte, kam es fünf Kilometer entfernt im Keller der Kaserne zu Übergriffen: Einem Soldaten wurde mit einer Kübelspritze Wasser in den Mund gedrückt, ein anderer mit Stromstößen aus einem Feldfernsprecher traktiert. Andere sollen geschlagen und zu fest gefesselt worden sein. »Mein Mandant war entsetzt, als er von diesen Exzessen erfahren hat«, sagt Jann Popkes. Weder habe Michele H. andere Ausbilder zu solchen Taten ermutigt, noch habe er diese Übergriffe gebilligt.
Die Nachtübungen, gibt der Strafverteidiger zu, seien hart gewesen, »eine erhebliche Belastung für die jungen Soldaten.« Deshalb habe auch jeder Rekrut aussteigen können. »Wer das Codewort ÝTiffyÜ oder ÝStoppÜ gesagt hat, ist in Ruhe gelassen worden.« Mehrere Soldaten hätten diese Reißleine gezogen, »ohne später als Weichei gehänselt worden zu sein«.
Das Landgericht Münster hatte die Anklage gegen Michele H. ursprünglich gar nicht zugelassen: »Weil unser Mandant von den Misshandlungen nichts wusste und Kilometer entfernt war«, sagt sein Anwalt. Doch das Oberlandesgericht Hamm hatte der Beschwerde der Staatsanwaltschaft Recht gegeben, weil es bereits in der Planung der Geiselnahmeübung eine Straftat sah. »Wir glauben, das Gericht vom Gegenteil überzeugen zu können«, sagt Strafverteidiger Jann Popkes. Für seinen Mandanten, der mit ganzem Herzen Soldat sei, sei es schwer, suspendiert zu sein und die Uniform nicht tragen zu dürfen. »Er ist kein Schinder. Er hat Kameraden, die Probleme hatten, immer ernstgenommen und sie zum Militärseelsorger geschickt«, erklärt der Anwalt.
Für den Prozess sind zunächst 45 Verhandlungstage angesetzt. Bis zu 80 Rekruten, die mehr oder minder stark malträtiert worden sein sollen, müssen als Zeugen gehört worden. Jann Popkes: »Aus den Vernehmungsprotokollen in den Ermittlungsakten ergibt sich, dass die überwiegende Zahl der Rekruten die Nachtübungen ähnlich empfunden hat wie unser Mandant sein Training in Hammelburg - als extrem hart, aber persönlich bereichernd.«

Artikel vom 17.03.2007