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Alte, neue Voksweisheit

»Reden ist billig, weil das Angebot die Nachfrage
bei weitem
übersteigt.«

Leitartikel
Volks- und Zeitkrankheiten

Keine Antwort ist auch eine


Von Rolf Dressler
Was zu viel ist, ist zu viel, sagt der Volksmund. Also greift der Mensch zum letzten Abwehrmittel, wenn ihm die pausenlosen Ach-und-weh-Klagelieder ringsumher über die Hutschnur gehen: Er schaltet auf Durchzug, wendet sich mit Grausen - und Erbaulicherem zu.
Rückenschmerzen und Migräne, Tabaksucht und Bewegungsschwäche, Bärenhunger auf Süßes und, und, und. Fast alles und jedes erheben die Unkenrufer un- seres Superlativ-Zeitalters mit Vorliebe sogleich zu einer »Volkskrankheit«. Frei nach der Alarm-Devise: Achtung, Untergang in Sicht!
Da ist es immer wieder beruhigend zu erfahren, dass das größte anzunehmende Unheil bis heute hartnäckig ausbleibt. Denn nähme man die Kassandra-Trommler beim Wort, müssten allein schon all die massenhaft beschworenen angeblichen »Volkskrankheiten« unserem Volk eigentlich schon längst den Garaus gemacht haben.
Tatsächlich aber ist zu Optimismus und Zuversicht durchaus vielerlei konkreter Anlass. Gerade wir Deutschen, ob weiblichen oder männlichen Geschlechts, dürfen begründet darauf hoffen, dass uns ein weitaus längeres Erdenleben vergönnt ist als den Altvorderen in der Menschheitsgeschichte. Naturgemäß müssen die Jüngeren die Alten, Kranken und Gebrechlichen in deren späten Jahren heute und erst recht in der Zukunft länger umsorgen und pflegen. Doch schickt es sich wirklich, darüber schon im vorhinein in Missmut zu verfallen? Sollte und müsste nicht vielmehr die Freude darüber überwiegen, ein längeres Leben geschenkt zu bekommen, womöglich sogar bis zuletzt bei guter Gesundheit?
Wie gewohnt sorgendurchfurcht indes liest sich auch die jüngste Bestandsaufnahme der UN-Stiftung Weltbevölkerung. Tenor der düsteren Vorhersagen, die, wie gemeldet, Mitte dieser Woche veröffentlicht wurde: Das Weltvolk wächst (gefährlich) rasant, stoppt die Menschenflut - jetzt!
Im selben Atemzuge aber dann auch der bekannte Schreckensruf: Europa wird alt, denn seine Bevölkerung, schrumpft und schrumpft und schrumpft ...!
Ein bisschen verwirrend nicht nur für wenig informierte und eher schlichte Gemüter. Denn wie wohl reimt es sich zusammen, dass die Europäer, genauer: ihre herrschenden Politiker, nach endlich wieder mehr Nachwuchs hungern, während der vielbeschworenen »Bevölkerungsexplosion« fast überall anderwärts mit aller Macht Einhalt geboten werden soll?
Könnte es nicht sein, dass knallharte (macht)politische, weltstrategische und wirtschaftliche Interessen dieses befremdlich verwirrende Bild hervorrufen?
Werden die Dritte und die Vierte Welt womöglich nicht sogar noch verschärft eigener Entwicklungsmöglichkeiten beraubt, wenn die Minderheit der wohlhabenden und besitzenden Länder und Völker gigantische Gelder bei sich selbst etwa in den Klimaschutz pumpt?
Das Nichtbeantworten solcher Fragen ist eine Zeitkrankheit.

Artikel vom 17.03.2007