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Belästigt, verfolgt und bedroht

Polizei auf neues Anti-Stalking-Gesetz vorbereitet - 15 Monate Vorarbeit

Von Jens Heinze
Bielefeld (WB). Belästigt, verfolgt, bedroht - Stalking-Opfer leiden still und suchen oft erst nach Jahren oder Jahrzehnten Hilfe. Bevor voraussichtlich Ende dieses Monats das neue Anti-Stalking-Gesetz in Kraft tritt und den Tätern bis zu zehn Jahre Haft androht, hat die Bielefelder Polizei das Phänomen des Nachstellens (englisch stalking) unter die Lupe genommen.

Das Fazit des 15 Monate dauernden Projektes aus den Jahren 2005 und 2006 (siehe Infokasten »Täter nur Männer«): Bielefeld ist in Sachen Stalking eine ganz normale Stadt. Treffen kann es jeden, am meisten trifft es jedoch Frauen. »Zwölf Prozent aller Deutschen können zu Opfern und damit schwer traumatisiert werden«, sagt Kriminalrat Uwe Köhler, Leiter der für die Stalking-Problematik zuständigen Kriminalinspektion 4 bei den Bielefelder Ordnungshütern.
Mehr Opferschutz sollen der neue Nachstellungsparagraph (Paragraph 238 des Strafgesetzbuches) und eine Ergänzung der Strafprozessordnung bieten. Das von Bundestag und Bundesrat verabschiedete Gesetz, das nur noch von Bundespräsident Horst Köhler unterschrieben werden muss, sieht für Stalker Geld- oder Gefängnisstrafen vor. Wiederholungstäter können künftig in so genannte Deeskalationshaft genommen werden, damit das verfolgte Opfer endlich Ruhe findet.
»Wir sind vorbereitet«, stellen die beiden Hauptkommissar Ute Teichmann (Kriminalkommissariat Süd) und Frank Möller (Kriminalkommissariat Ost) klar, dass die Bielefelder Polizei nur noch auf die Unterschrift des Bundespräsidenten unter das Gesetz wartet. Während des 15-monatigen Anti-Stalking-Projektes habe man vom Schutzmann auf der Straße bis zum Kripobeamten alle für das Problem sensibilisiert, heißt es von den beiden Experten für Stalkingfälle. Und Kriminalrat Köhler verspricht: »Wenn ein Stalkingopfer in einer Polizeidienststelle in Bielefeld Hilfe sucht, dann wird es sachgerecht betreut. Rund um die Uhr, sieben Tage in der Woche!«
»Eine schnelle Intervention der Polizei unmittelbar nach der Tat hat Wirkung auf den Stalker«, weiß Hauptkommissar Hans-Werner Christ. Doch bis die Ordnungshüter für den Verfolgten und Bedrängten intervenieren können, vergehen manchmal Jahrzehnte. Christ, Opferschutzbeauftragter beim Kommissariat Vorbeugung: »Wenn sich jemand entschließt, zur Polizei zu kommen, ist oft schon ein langer Leidensweg zurückgelegt.« Besonders Frauen würden sich oft selbst die Schuld geben, Stalking-Opfer geworden zu sein. »Frauen empfinden sich als Mittäter«, sagt Christ. Die meisten Betroffenen würden sich nicht von sich aus direkt an die Polizei wenden, sondern von einer Hilfsorganisation geschickt.
Den Fall einer Frau, die fast zwei Jahrzehnte lang gelitten hat, kennt Hauptkommissarin Teichmann. 19 Jahre lang, berichtet die stellvertretende Kommissariatsleiterin, sei das Opfer von einem liebeskranken Stalker belästigt, verfolgt und bedroht worden. In ihrer Wohnung habe sich die Frau, aus Angst beobachtet zu werden, nur noch hinter verschlossenen Vorhängen bewegt. Die Betroffene habe in ihren eigenen vier Wänden kaum noch essen, schlafen oder duschen können. Jedes Wochenende sei die Frau vor dem Stalker zu ihren Eltern geflüchtet. Hauptkommissarin Teichmann: »Nach 19 Jahren war die Frau am Ende.«
»Jeder Sachverhalt wird aufgenommen wie eine Straftat. Wir geben den Frauen das Gefühl, dass sie ernstgenommen werden«, unterstreicht Hauptkommissar Frank Möller. Diese bewährte Linie aus dem Anti-Stalking-Projekt der Polizei werde fortgeführt und mit den rechtlichen Möglichkeiten des neuen Nachstellungs-Paragraphen in Einklang gebracht. Der Täter solle unmissverständlich bemerken, dass das Opfer nicht bereit sei, länger zu leiden.
Beim Stalking gibt es ein großes Dunkelfeld - längst nicht alle Opfer suchen Hilfe. »Das ist das Problem«, sagt Kriminalrat Köhler. Das neue Anti-Stalking-Gesetz sei gut und sinnvoll. »Es ist aber kein Wundermittel«, unterstreicht Oberschutzbeauftragter Christ: »Keiner glaubt, dass Stalking jetzt aufhört.«

Artikel vom 20.03.2007