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Der »Hays Code« ächtete bis 1967 Sex und Gewalt in Filmen

Hollywoods Selbstverpflichtung
auf Prinzipien der Moral
Von Hans Thomas


Vor vierzig Jahren setzte Hollywood den »Hays Code« ab. Bis 1967 galt eine strenge moralische Selbstkontrolle der Filmproduzenten.

»Die Heiligkeit der Institution der Ehe und das Familienleben sollen geachtet werden. (...) Sexuelle Affären, manchmal notwendiges Material der Handlung, dürfen nicht ausführlich behandelt, gerechtfertigt oder anziehend dargestellt werden. Erotische Szenen sollen außen vor bleiben, wenn sie für die Erzählung nicht erforderlich sind. (...) Generell soll Leidenschaft so behandelt werden, dass die entsprechenden Szenen nicht niedere und gemeine Triebe stimulieren.« Schon erstaunlich: Diese Worte sind nicht einer Moralpredigt entnommen, vielmehr wörtlich den Selbstkontrolle-Richtlinien der amerikanischen Filmproduzenten von 1930. Sie haben 35 Jahre lang Hollywood beherrscht.

»Hollywood
stand schon in der Stummfilmzeit für lockere Sitten.«
   Hollywood stand schon in der Stummfilmzeit für lockere Sitten. Dort erzähle, hieß es, eine Mutti den Kleinen zum Einschlafen: »Es war einmal ein Vater Bär, eine Mutter Bär und ein Kind Bär aus zweiter Ehe...«. Schon damals flimmerte nicht nur Charlie Chaplin über die amerikanischen Leinwände, sondern auch ein gehöriges Maß an Sex und Gewalt.

Das Medium der bewegten Bilder war neu und faszinierte. Die Kinos blühten. Sie hatten wöchentlich 40 Millionen Amerikaner zu Gast. Es war die Zeit des Charlestons, des Jazz in den Kneipen, des Alkoholverbots und der Schnaps-Gangster. Und es gab - bereits um 1920 - die ersten Hollywood-Skandale: spektakuläre Scheidungen, Vergewaltigung, Mord, Drogen-Tod. In den Vereinigten Staaten erhoben sich Proteste wegen Verstößen gegen die guten Sitten. Die Kino-Welt stürzte in der öffentlichen Meinung ab. Die Filmproduzenten wollten etwas unternehmen, um den guten Ruf der Branche wiederherzustellen. Sie wollten Amerika überzeugen, dass Hollywood nicht nur Skandal bedeutet. Sie gründeten eine Vereinigung. Die Vereinigung sollte eine Selbstkontrolle der Produzenten organisieren. Viel geschah erstmal nicht.

Als Ende der 1920er Jahre der Tonfilm aufkam. wurde alles nur noch schlimmer. Jugendschutz, Kirchen und bürgerliche Moralwächter schlugen zuerst Alarm, dann auch die Politik und Justiz. Um drohenden gesetzlichen Verboten zuvor zu kommen, schritt die Vereinigung der Filmproduzenten zu energischerem Handeln. Sie engagierte Will Hays, und der verfasste 1930 den nach ihm benannten »Hays Code« oder »Production Code«, eben jenen Moralleitfaden für Filmemacher, der verhindern sollte, dass Filme »die moralischen Standards der Zuschauer absenken«.

»Wenn Filme Geschichten erzählen«, so beginnt der Code, »die einen positiven Einfluss auf das Leben haben, dann können sie die mächtigste Kraft zur Besserung der Menschheit werden. (...) Die Filmproduzenten sind sich der Verantwortung gegenüber der Öffentlichkeit bewusst, (...) Auch wenn sie den Film in erster Linie als Unterhaltungsform sehen, der nicht die ausdrückliche Absicht verfolgt, zu belehren oder zu beeinflussen, ist ihnen bewusst, dass dem Film auf Grund seiner eigentümlichen Art der Unterhaltung direkte Verantwortung für spirituellen oder moralischen Fortschritt, die Anhebung des sozialen Niveaus und für das richtige Urteilen zugeschrieben werden kann.«

Zunächst wurde der »Production Code« mehr diskutiert als befolgt. Unter zunehmendem öffentlichen Druck beriefen dann die Filmproduzenten eigens eine »Production Code Verwaltung«, die unter Will Hays' Führung entschlossen dafür sorgte, dass die Produzenten sich an die moralischen Vorgaben hielten - bis 1967. Vor vierzig Jahren wurde der »Hays Code« außer Kraft gesetzt. Ersatzweise wurden für den Besuch fragwürdiger Filme Mindestaltersgrenzen eingeführt: Jugendschutz.

»Mit diesen Richtlinien zur Filmproduktion wurde über dreißig Jahre lang
Hollywood zu einer ausgesprochenen Moralanstalt.«
   Kaum noch zu glauben: Mit diesen Richtlinien zur Filmproduktion wurde mehr als dreißig Jahre Hollywood zu einer ausgesprochenen Moralanstalt. Einige Leseproben mögen einen Geschmack vermitteln:

Zu den Grundprinzipien und ihrer Anwendung gehört: »Es sollen keine Filme produziert werden, die den moralischen Standard der Zuschauer senken könnten. Deshalb soll bei den Zuschauern niemals Sympathie für Kriminalität, Verbrechen, Bosheit oder Sünde geweckt werden.« Korrekte Lebensweisen sollen hervorgehoben, Sittlichkeit und Recht nicht ins Lächerliche gezogen werden. »Verbrechen gegen das Gesetz sollen niemals so dargestellt werden, dass Sympathie mit dem Verbrechen bzw. Missachtung von Recht und Gerechtigkeit oder der Wunsch zur Nachahmung erzeugt wird.« Deshalb sollen Mord, Totschlag, Rache, Raub, Diebstahl, Brandstiftung, Sprengstoffanschläge zurückhaltend und nie ausführlich oder nachahmenswert dargestellt werden.

»Ein eigener Abschnitt ächtet jegliche Respektlosigkeit gegenüber der Religion.«
   Die bereits eingangs zitierten Grenzen der Sex-Darstellung werden ergänzt: »Die Behandlung von niederen, anstößigen, ungefälligen, wenngleich nicht bösen, Inhalten sollte immer der Kontrolle des guten Geschmacks unterliegen und die Sensibilität der Zuschauer berücksichtigen. Obszönitäten in Wort, Geste, Hinweis, Lied, Witz oder durch Andeutung ist verboten. (...) Vollständige Nacktdarstellungen sind nie erlaubt.« Geächtet werden auch Entkleidungsszenen, außer wenn sie für die Handlung wesentlich sind.

Ein eigener Abschnitt ächtet jegliche Respektlosigkeit gegenüber der Religion. Die Worte Gott, Herr, Jesus, Christus seien zu meiden - es sei denn, sie werden ehrfürchtig gebraucht. Ausgeschlossen werden auch Flüche und andere Verunglimpfungen des Namens Gottes. Jede respektlose oder vulgäre Ausdrucksweise ist hier verboten.

Es wurde viel - und wird bis heute - diskutiert, ob der »Hays Code« brutale Zensur oder ein Segen war. Manches darin mutet durchaus zeitbedingt, sogar heute unverständlich an, so etwa bestimmte Ängste vor Rassenmischung. Denkt man aber an Hollywood-Produktionen wie »Vom Winde verweht«, die Hitchcock-Krimis, die Western von John Ford oder die Komödien mit Doris Day, darf man sich schon fragen: Was soll denn nun diesen großen Filmen gefehlt haben?

Artikel vom 24.03.2007