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Dichterfürst ist noch immer ein Magnet

Johann Wolfgang von Goethe vor 175 Jahren gestorben - Neue Biographien auf dem Markt

Von Dietmar Kemper
Bielefeld (WB). Goethes Werke sollte man gelesen haben. Deutschlands Vorzeigedichter selbst fasste viele Bücher nicht an, die zu ihm nach Weimar gelangten. »So wie heute gab es im 18. und 19. Jahrhundert eine Flut von Veröffentlichungen, und Goethe besaß eine gesunde Selektionsfähigkeit«, weiß der Bielefelder Literaturwissenschaftler Friedmar Apel. Der Geheimrat habe gespürt, was sich zu lesen lohnt und was nicht.

An seinem 175. Todestag sind die Leser aufgerufen, aus der Menge von neuen Büchern über Johann Wolfgang von Goethe produktiv auszuwählen. Der Dichter, dessen Werke unvergessen sind, starb am 22. März 1832 an einer Lungenentzündung. Vier Tage später wurde er in der Weimarer Fürstengruft beigesetzt.
Friedmar Apel hat mit Fachkollegen im Frankfurter Insel-Verlag Goethes Werke in sechs Bänden herausgegeben und schwärmt, der Dichter habe in einzigartiger Weise die Literatur als Spiegel der Erfahrung der Welt eingesetzt. Apel: »Er brachte den Menschen nahe, dass die Welt für sie gemacht ist, dass sie sich daran erfreuen können.«
Nicht erst im Vorfeld des 175. Todgestages entstanden neue Arbeiten über Goethe. »Abertausende Bücher« seien mittlerweile über seine Person, seine Werke und die Wirkung verfasst worden, sagt Friedmar Apel und räumt offen ein: »Selbst ein erfahrener Literaturwissenschaftler kann das nicht mehr überschauen.«
Zu den lesenswerten Biographien gehören Peter Boerners »Johann Wolfgang von Goethe« (Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek) und die Lebensbeschreibung von Anja Höfer (»Johann Wolfgang von Goethe«, dtv, München). Wer kurze und prägnante Informationen über den Schriftsteller bevorzugt, greift zu Manfred Wolfs »Leser fragen - Goethe antwortet. Klassische Lebenshilfen von Herrn G.« (Eichborn Verlag, Frankfurt), zu Gero von Wilperts »Die 101 wichtigsten Fragen« (Verlag C. H. Beck, München) oder zu Holger Noltzes »Goethe für die Westentasche« (Piper Verlag, München).
Bei runden Gedenktagen mache sich »Zahlenmystik« breit, betont der Bielefelder Literaturwissenschaftler Apel. Goethe sei dann plötzlich überall präsent. Im Moment interessierten sich Wissenschaftler mehr für den Politiker und Beamten Goethe. Die amtlichen Schreiben des Geheimen Legationsrats, der im Herzogtum Weimar die Kriegskommission leitete und für Wegebau und Finanzen verantwortlich war, seien noch nicht vollständig bearbeitet, weiß Apel.
Können junge Leute mit Goethe heute noch etwas anfangen? »ÝWilhelm MeisterÜ kann sie ohne weiteres begeistern, bei ÝIphigieneÜ, den klassischen Dramen, bedarf es der Nachhilfe«, hat Apel bei seiner Lehrtätigkeit beobachtet. Der Goethe des Sturm und Drang reißt mit. »Götz von Berlichingen mit der Eisernen Hand«, 1773 erschienen, begeisterte als Rittergeschichte über einen adeligen Wegelagerer das Lesepublikum und avancierte zum Verkaufsschlager. »Die Leiden des jungen Werthers« (1774) löste europaweit sogar Hysterie aus. Die verbotene Liebe zu seiner Angebeteten Charlotte Buff regte Goethe zu dem tragischen Briefroman an, aber im Gegensatz zu einigen jungen unglücklich verliebten Lesern beging Goethe keinen Selbstmord. »Egmont« (1775) beschrieb mitreißend den Untergang des holländischen Grafen Egmont, der 1566 den Widerstand gegen die Unterdrückung des Brüsseler Adels durch die spanischen Eroberer angeführt hatte.
Aber auch Goethes spätere Werke faszinierten und entzückten die gebildete Schicht, so wie die fröhliche Verssammlung »Römische Elegien« (1788-1790), der Bildungsroman »Wilhelm Meisters Lehrjahre« (1795/96), das Drama »Faust« (1797/1830) oder der Roman »Die Wahlverwandtschaften« (1809) über die Liebe als zerstörerische Macht.
Apropos Liebe: Goethe, der nach seiner Rückkehr aus Rom 1788 die erst 23 Jahre alte Christiane Vulpius traf und später, 1806, heiratete, habe viel über die Liebe zu sagen gehabt, erzählt Friedmar Apel. Was man über Herzensdinge vom Dichterfürsten lesen und vielleicht auch lernen kann, steht in dem von ihm herausgegebenen Buch »Goethe über Liebe« (Insel-Verlag Frankfurt).
Die Bewunderung für Goethe ist weltweit ungebrochen. Für Jochen Golz, den Präsidenten der Goethe-Gesellschaft in Weimar, ist der Dichterfürst nach wie vor der wichtigste deutsche Kultur-Botschafter in der Welt. Als Beleg führt er an, dass die in Weimar verwahrten Handschriften von Goethe und Schiller als eine der ersten Archivbestände in die UNESCO-Liste »Memory of the World« aufgenommen wurden. Im Schnitt besuchten 2006 jeden Tag etwa 800 Menschen das Goethehaus am Frauenplan, sagt Golz. Goethe ziehe Literaturfreunde auch 175 Jahre nach seinem Tod wie ein Magnet an.

Artikel vom 17.03.2007