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Gnadenakt für
irakischen Täter

Verfahren mit Pleiten und Pannen

Bielefeld (uko). Mit einer nur zehnmonatigen Bewährungsstrafe ist ein irakischer Asylbewerber davongekommen, der eine 20-jährige Frau über Monate hinweg drangsaliert, bedroht und verprügelt hat. Das Verfahren, das nun vor dem Amtsgericht mit diesem Kompromiss-Urteil beendet wurde, war von einer Serie von Pleiten und Pannen aller Beteligten gekennzeichnet.

Die 20-jährige Neubrandenburgerin Sophia S. war am 28. April 2005 in ihrer Heimatstadt von dem damals bereits abgelehnten Asylbewerber Allan S. (22) überfallen und mit einem Messer bedroht worden. Sie solle ihren Sohn, dessen türkischer Vater sie verlassen hatte, als seinen Abkömmling ausgeben, so lautete seine Forderung. Sophia S. kam aus Angst um die Gesundheit des Kleinkindes diesem Willen nach, gab beim Jugendamt den Iraker als Vater des Jungen an. Hintergrund: Allan S. erhoffte sich durch die Beurkundung ein dauerhaftes Bleiberecht in Deutschland.
Im Oktober 2005 wurde die Frau von ihrem Peiniger nach Bielefeld verschleppt. Die Familie des Allan S. lebt hier seit einigen Jahren. Sie sei stets beaufsichtigt und beobachtet worden, gab die Frau später an. Allan S. war seinerzeit mehrfach in sein Heimatland eingereist und hatte sich dort als Autohändler betätigt. Kurios: Die illegale Einreise, bekannte der Iraker, sei problemlos möglich, obwohl die Bundesregierung einen Abschiebestop in das Bürgerkriegsland verfügt hat . . .
Sophia S. war mehrfach verprügelt worden. S. hatte zudem angekündigt, ihren Sohn in den Irak zu entführen, sofern sie ihm nicht zu Willen sei. Auch sei sie mehrfach vergewaltigt worden. Diese Angaben des Opfers waren der Polizei und der Staatsanwaltschaft auch im Vorfeld des nun gelaufenen Prozesses bekannt. Gleichwohl wurde der Iraker lediglich wegen Nötigung, versuchter räuberischer Erpressung, Körperverletzung, Urkundenfälschung und wegen eines Verstoßes gegen das Ausländergesetz angeklagt. Hinsichtlich der Vergewaltigung blieb die Staatsanwaltschaft Bielefeld untätig. Allan S. war im August 2006 inhaftiert worden, das Hauptverfahren fand erst jetzt - nach sechs Monaten Untersuchungshaft statt.
In dem Prozess vor dem Schöffengericht kam es nach erheblichen Differenzen zwischen dem Vorsitzenden des Gerichts und dem Verteidiger des Angeklagten zum Eklat: Der Richter erstattete gegen den Rechtsanwalt eine Strafanzeige wegen Strafvereitelung, weil der Verteidiger das Opfer wissentlich zu einer schriftlichen Falschaussage zugunsten seines Mandanten bewegt haben soll. Der Rechtsanwalt seinerseits lehnte den Richter wegen diverser ausländerfeindlichen Aussagen wegen des Verdachts der Befangenheit ab. Der Direktor des Amtsgerichts gab diesem Antrag statt.
Jetzt verhandelte ein anderes Schöffengericht den Fall weiter, kam auch nicht umhin, für den Iraker einen Schlusspunkt als förmlichen Gnadenakt zu setzen. Nach Absprachen zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung gab Allan S. die Vorwürfe der Anklage zu. Im Gegenzug kassierte er das milde Urteil von zehn Monaten Bewährungsstrafe. Als Auflage soll S. 300 Stunden gemeinnütziger Arbeit ableisten. Hätte das Schöffengericht streitig verhandelt, hätte eine Haftprüfung des Oberlandesgerichts Hamm zweifellos zur Haftentlassung des Irakers geführt.
Die Richter betonten indes, die weitergehenden Vorwürfe wegen Freiheitsberaubung und Vergewaltigung stünden immer noch aus. Warum die Staatsanwaltschaft diese Fälle nicht angeklagt habe, sei »nicht nachzuvollziehen«. Das Gericht bezeichnete dieses Vorgehen als »Versäumnisse«.

Artikel vom 15.03.2007