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Alphonse de Lamartine

»Das Volk ist ein Element - unberechenbar wie Feuer und Wasser.«

Leitartikel
Außenseiter Bayrou

Offenes Rennen in Frankreich


Von Jürgen Liminski
Es wird spannend in Frankreich. Außenseiter Francois Bayrou holt auf. Keineswegs ausgeschlossen ist, dass er im ersten Wahlgang mehr Stimmen holt als die Kandidatin der Sozialisten, Ségolène Royal. Sollte er in die Stichwahl kommen, ist ein Sieg gegen Mitte-Rechts-Kandidat Nicolas Sarkozy nicht auszuschließen.
Die politische Konjunktur ist günstig für Bayrou. Zum einen, weil Madame Royal entzaubert scheint. Ihr Konzept einer teilnehmenden Demokratie spricht die Gefühle an, ist aber substanzlos. Denn ihr Programm ist klassisch links. Sie will die Wechselwähler erreichen und zugleich die Funktionäre. Ihr kleines Umfragehoch im Februar ist wieder abgeflacht. Der Rückhalt in Bevölkerung und Wählerschaft ist schwächer als der Applaus in der Presse. Und in dieser Situation kommt ein Mann wie Bayrou für enttäuschte Linkswähler wie gerufen.
Zum zweiten, weil Sarkozy in seinem Bemühen, links auszugreifen, mehr Stammwähler enttäuscht als neue Wähler zu gewinnen. Er dümpelt bei gut dreißig Prozent für den ersten Wahlgang am 22. April und dürfte damit locker in die Stichwahl am 6. Mai kommen. Und dann könnte sich sein von Ehrgeiz getriebenes programmatisches Linksschielen bitter rächen. Denn die Linkswähler vertrauen sowieso mehr dem Zentristen Bayrou, der von Anfang an viele soziale Elemente in seinem Programm anbot, und bei den Bürgerlichen ist Bayrou attraktiv, weil er mit seinem Sowohl-als-auch-Programm ausgewogener daherkommt als Sarkozy, von dem man nicht weiß, was er letztlich tun wird. Auch der scheidende Präsident galt als rechts, vollzog aber oft linke Volten.
Apropos Jacques Chirac. Ganz Paris weiß, dass sein letzter politischer Wille die Niederlage Sarkozys ist. Deshalb warnte er in seiner Verzichtserklärung auch vor allem Extremen, womit er den ausgeprägten Ehrgeiz Sarkozys meinte. Und er wird vermutlich vor der Wahl oder auch zwischen den beiden Wahlgängen sagen, dass er »als Privatmann« für Sarkozy stimmen werde - ein Danaergeschenk. Seine Anhänger werden sofort verstehen, dass dies ein Signal ist, Bayrou die Stimme zu geben. So hatte er es 1981 gehalten und vor der Stichwahl »à titre personnel« für Giscard gestimmt, der dann gegen Mitterrand verlor. Für Chirac ist Bayrou allemal die bessere Alternative zu Sarkozy, und ein kleiner Prozentsatz könnte schon den Ausschlag geben.
Sarkozys Ausfälle nach links mögen taktischer Natur sein, sie haben ihn im bürgerlichen Lager Glaubwürdigkeit gekostet. Und die ist letztlich entscheidend. Das umso mehr, als die Franzosen ein hohes sozialrevolutionäres Erregungspotenzial haben. Wehe man lügt, denn »das Volk ist ein Element«, meinte schon der Dichter Lamartine, »unberechenbar wie Feuer und Wasser«.
Wenn »Sarko« wirklich den berühmten Riecher einer politischen Bestie hat, wird er auf der letzten Meile das Bild noch korrigieren und die konservativ-bürgerlichen Wähler mit ihren eigenen Themen mobilisieren anstatt sie mit fremden zu verschrecken.

Artikel vom 15.03.2007