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Die filmische Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus findet auch in Deutschland statt

Verständnis für den Schrecken
Das Interview mit Oliver Hirschbiegel führte José Garcia


Jahrzehnte lang war die Darstellung Adolf Hitlers im Film tabu. »Der Untergang« (2004) bedeutet eine deutliche Zäsur in der filmischen Auseinandersetzung mit der deutschen Vergangenheit. Das Tabu brach der Regisseur Oliver Hirschbiegel mit seiner Schilderung der Tage vom 20. April bis zum 2. Mai 1945 im Führerbunker. Bruno Ganz verkörpert Hitler glaubwürdig als einen Menschen, der selbst am Ende immer noch »so ungeheuerliche Dinge sagt und so ungeheuerliche Dinge tut« (Regisseur Hirschbiegel), dass der Zuschauer wohl kaum Mitleid mit den menschlichen Wrack Hitler aufbringt. Auch wenn sich die Handlung im Führerbunker abspielt, öffnet »Der Untergang« immer wieder den Blick auf die Erdoberfläche, wo sich beim Endkampf um die Reichshauptstadt sinnloser Terror, Tod und Verwesung breit machen. Dass die filmische Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus in einem deutschen Film stattfindet, und nicht etwa Hollywood überlassen wird, ist richtig und wichtig. Zu »Der Untergang« befragte José García den Regisseur:

Musste in Ihrem Film die Gewalt, etwa in der Szene der Vergiftung der Goebbels-Kinder, in einer solch schonungslosen Art gezeigt werden?
Hirschbiegel: Ich glaube schon. Es ist so ungeheuerlich und so einmalig in der Geschichte der Menschheit, dass man sich als Zuschauer dem aussetzen muss. Ursprünglich wollte ich die Szene ohne Musik drehen. Dann habe ich jedoch gemerkt, dass sie zu schmerzlich war. Normalerweise benutzt man Musik, um eine Situation zu unterstützen oder zu dramatisieren. In diesem Fall war es genau umgekehrt: die Musik macht die Situation etwas leichter. Aber ich meine, dem muss man sich aussetzen. Denn es geht nicht bloß darum, dass die Goebbels ihre Kinder umbringen. Diese abscheuliche Tat ist ein Synonym für den absoluten Verfall von allem, was unsere Kultur je bestimmt hat. Zum andern ist es nur ein Beispiel für Zehntausende anderer Fälle, wo Eltern ihre eigenen Kinder umgebracht haben.

Kann diese Handlung auch als ein Sinnbild dafür gelten, dass dieses mörderische Regime seine eigenen Kinder umbringt?
Hirschbiegel: Ja, sie zeigt eine Ideologie, der nichts mehr heilig ist, bei der es keine Grenze gibt. Alles, was nützt, ist Recht. Sowohl auf der moralischen als auch auf der rechtsstaatlichen Ebene gibt es keinerlei Grenzen mehr. Alles, was man Jahrhunderte lang erlernte, erkämpfte und auch lebte, wurde pulverisiert.

Inwieweit wollten Sie mit dem Film eine eigene Interpretation liefern?
Hirschbiegel: Wir folgen im Prinzip den Ereignissen, wie sie sich zugetragen haben. Von Interpretation kann man nicht wirklich sprechen. Ich habe mich als Beauftragten im Sinne der deutschen Geschichte gesehen. Meine Idee war immer, mit diesem Film einen Anstoß zu geben für einen neuen Umgang, für einen neuen Blickwinkel, einen neuen Ansatz, der wirklich versucht, die Hintergründe zu beleuchten. Allerdings kann ein Film nur ein Ansatz sein. Die Leistung des Films besteht darin, dass wir versuchen, eine vorverurteilende Haltung, eine Stigmatisierung zu vermeiden. Nur zu sagen, dass dies alles böse sei, dass es nie wieder kommen darf, ist eine Sackgasse. Wenn man es den Kindern beibringt, dann sagen sie »okay, furchtbar«. Aber Verständnis für den Schrecken kann man nur gewinnen, wenn man begreift, wie es möglich war. Wenn man ihn einfach nur benennt, dann verliert der Schrecken seinen Schrecken. Und in Wirklichkeit war der Schrecken viel schrecklicher als alles, was man sich ausmalen kann. Die Leute, die das getan haben, waren keine Clique von einigen Wahnsinnigen, das war ein großer Teil unseres Volkes. Und das Blut dieser Leute pulst in unseren Adern. Wir sind ein großes Kulturvolk gewesen. Wenn wir es in der Zukunft auch bleiben wollen, dann müssen wir uns wirklich mit unserer Geschichte beschäftigen. Ich hoffe, das die Alten und die Jungen den Film sehen und anfangen, miteinander zu reden: »Was ist da passiert, seid Ihr alle wahnsinnig, dumm, ungebildet gewesen?« - »Fanden sie alle vielleicht klasse, dass alle Intellektuellen, alle kritischen Schriftsteller, alle Künstler von Weltgeltung plötzlich das Land verlassen haben, dass die kulturelle Elite plötzlich eliminiert war? Das kann wohl nicht wahr sein!«

Der Mediziner Professor Schenck kommt in Fests Buch nicht vor, spielt aber im Film eine bedeutende Rolle. Ist dies für das Publikum eine Identifikationsfigur, jemand, der sich seine Menschlichkeit bewahrt hat?
Hirschbiegel: Professor Schenck war eine ganz interessante Person mit einer ganz typischen Biografie: ein Mediziner, der in der Forschung tätig war und in die Forschungsabteilung der Armeeversorgung kam. Er hat etwa Lebensmitteln das Wasser entzogen, damit sie leichter zu transportieren sind. Die Abteilung hat zum Beispiel Nescafé erfunden. Ich weiß nicht, was er alles wusste, ob er in Konzentrationslagern war. Ich kann nur von dem Buch ausgehen, das er geschrieben hat. Das wirkt nicht so, als wäre er ein Nationalsozialist gewesen. Beispielsweise ist durch Zeugenaussagen belegt, dass Himmler ein Problem mit ihm hatte. Dennoch war er der SS untergeordnet, wie alle entscheidenden Instanzen in der Zeit. Er hat wirklich darauf bestanden, da zu bleiben. Das konnte er tun, weil er einen Wehrmachtsrang hatte. Er hat mit Prof. Haase da unten 800 Operationen in einer unvorstellbar kurzen Zeit durchgeführt. Beim Lesen dieses Buches hatte ich das Gefühl, es hat bei ihm eine Rückbesinnung stattgefunden. Er war jemand, der versucht hat, innerhalb dieses Systems etwas zu tun. Man darf nicht vergessen, wie wahnsinnig schwierig es gewesen ist. Spätestens seit Stauffenbergs Hinrichtung war das System so repressiv, dass die Chance für einen Widerstand nicht mehr bestanden hätte. Er hätte viel früher einsetzen müssen.

Was für eine Wirkung soll nach Ihrem Wunsch Ihr Film entfalten?
Hirschbiegel: Ich wünsche mir, dass die Leute in den Film gehen, und lesen und studieren und erfahren, was passiert ist. Wer weiß zum Beispiel heute noch, dass die Deutschen allein nach dem Einmarsch in Polen über drei Millionen Polen umgebracht haben? Dass die Juden umgebracht wurden, das weiß man. Aber sie haben drei Millionen Polen systematisch liquidiert: den gesamten Klerus, die intellektuelle Elite, die Politiker, jeden Akademiker bis runter zum Dorfschullehrer. Und das war nicht die Wehrmacht, das waren der Polizeiapparat, die SS, und kleinere Sondereinheiten der Wehrmacht. Das weiß heute kaum einer. In der Schule werden Zahlen genannt, aber was sie angerichtet haben und was für Leute es waren, die das getan haben, darüber wird nicht gesprochen.

Artikel vom 24.03.2007