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Jahrelang weggelaufen
vor der Amputation

Gerhard Pribbernow gründet eine Selbsthilfegruppe

Von Peter Monke
Sennestadt (WB). 60 Jahre lang ist Gerhard Pribbernow (77) aus Sennestadt der Amputation seines linken Beines buchstäblich davongelaufen: als Ausdauersportler, der trotz einer Knochenmarksvereiterung die härtesten Langstreckenläufe der Welt in Angriff nahm. 2005 hat ihn das Schicksal schließlich doch ereilt. Aber Pribbernow macht das Beste daraus: Er ist Mitbegründer der ersten Selbsthilfegruppe für Amputierte in Ostwestfalen-Lippe.

Pribbernows Krankengeschichte reicht bis in das Jahr 1944 zurück. Während der Kinderlandverschickung passierte es: »Erst habe ich mir beim Toben eine Schürfwunde sowie einen dicken Bluterguss am linken Bein zugezogen, wenige Tage später dann noch den kleinen Finger der rechten Hand an einer Säge verletzt.« Heute würde man in solchen Fällen der Gefahr einer Knochenmarksvereiterung durch die Behandlung mit Penicillin begegnen, doch soweit sei man damals noch nicht gewesen.
Die Folge: Das linke Bein wurde steif, die Knochenmarksvereiterung chronisch und damit irreparabel. Schon ein Jahr später rieten Ärzte zur Amputation, »doch ich hörte, dass mit viel Bewegung die Durchblutungsstörungen zu lindern seien«, sagt Pribbernow. Eine beeindruckende Sportler-Karriere nahm ihren Lauf.
46 Mal lief oder vielmehr marschierte der Sennestädter eine Distanz von 100 Kilometern, darunter zwölf Mal am Stück (1976 bis 1987) beim Klassiker dieser Veranstaltungen - den 100 Kilometern von Biel in der Schweiz. Hinzu kamen 40 Sportabzeichen und mehr als 20 Hermannsläufe - eine vergleichsweise harmlose Herausforderung, denn: »Da hat man sechs Stunden Zeit, da kann ich ja zwischendurch sechs Mal in die Kneipe gehen.«
Seine Läufe haben Pribbernow um die Welt geführt. Doch um Rekorde oder Medaillen ist es ihm nie gegangen: »Ich wollte beweisen, dass ich trotz meiner Behinderung was kann. In einer Leistungsgesellschaft werden die Schwachen gerne an den Rand gedrückt. Auch ich musste mir deshalb Respekt sehr hart erarbeiten.«
Den Kampf um Anerkennung führt Pribbernow als Amputierter weiter: »Nach meiner Operation habe ich in Ostwestfalen vergeblich eine Selbsthilfegruppe gesucht und deshalb selbst eine aufgemacht.« Kernproblem sei, dass es kaum Fachmänner für die Probleme und Fragen von Amputierten gebe: »Ärzte und Orthopäden haben oft nur wenig amputierte Patienten und deshalb keinen Überblick über die Vielfalt der Prothesen oder die Möglichkeiten der Schmerztherapie.« Prothesentechnikern wiederum fehle medizinisches Wissen.
Genau hier soll die Selbsthilfegruppe mit Sitz in Lemgo ansetzen. Betroffene können Erfahrungen austauschen und sich gegenseitig helfen. Juristischen Rat gibt es ebenfalls, wenn zum Beispiel Krankenkassen die Kosten für Therapien nicht übernehmen wollen. Geplant ist sogar, ein bundesweites Netz von Selbsthilfegruppen aufzubauen. »Derzeit gibt es genau 18, und das ist natürlich viel zu wenig«, sagt Pribbernow.
Seine Laufambitionen musste der 77-Jährige durch die Prothese stark zurückschrauben: »In der Wohnung komme ich zwar schon wieder ohne Stock zurecht, aber insgesamt bin ich nicht mehr so mobil wie früher. Außerdem scheuert die Prothese bei längerer Belastung am Beinstumpf.« Regelmäßige Wanderungen in der Natur will Pribbernow trotzdem weiterhin unternehmen. Zehn-Kilometer-Märsche hat er sich für dieses Jahr vorgenommen. »Mein Ziel ist es, 100 Jahre alt zu werden. Und wenn ich fit bleibe schaffe ich das auch. 100-Kilometer-Läufe habe ich ja schließlich auch geschafft.«
l Kontakt zur Selbsthilfegruppe erhalten Interessierte über den Vorsitzenden Rolf Brakemeier, Tel. 0 52 61 / 75 79, oder per E-Mail:
sfa-owl@gmx.de

Artikel vom 14.03.2007