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Erinnerung an jüdische
Kindheit in Bielefeld

Frage nach Heimweh - Herausgeberin Brigitte Decker

Von Sabine Schulze (Text und Foto)
Bielefeld (WB). Freiwillig hat Marga Gruenewald Bielefeld nicht verlassen: Sie flüchtete vor den Nazis. Und dennoch: »Ich werde in meinem Herzen immer einen Platz für meine alte Stadt bewahren«, hat sie aus England geschrieben. Marga Gruenewald geb. Ostwald ist eine von den 32 Autoren und Autorinnen, die zu dem Buch »Heimweh nach Bielefeld?« ein Kapitel beigetragen haben.

Vertrieben oder deportiert wurden Sabine Comberti, Heinz Goldmann, Lotte Heumann oder Herbert Weiss allesamt als Kinder aus jüdischen Familien. Sie leben heute in den USA, in Brasilien, Israel oder England. Zum 50-jährigen Bestehen der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit trat Manfred Sewekow an Brigitte Decker heran mit der Bitte, für die Festschrift einen Beitrag über das Schicksal dieser Menschen zu schreiben. Decker, die als Mitglied der Friedensgruppe der Altstädter Nicolaigemeinde auch das Mahnmal für die Holocaust-Opfer vor dem Hauptbahnhof initiiert hatte, wollte aber nicht für andere sprechen. Sie, ihr Sohn Martin und Kai-Uwe von Hollen schrieben daher an eine Reihe ehemaliger Bielefelder, die sie über ihr Engagement kennengelernt hatten, mit der Bitte, selbst und in ihren Worten zu erzählen. 32 Antworten erhielten sie, zusammengefasst in 28 Kapiteln.
»Jedes Kapitel ist eingeleitet durch biographische Daten; ergänzend sind Bilder und Dokumente wie Kennkarten oder Briefe beigefügt«, erzählt Brigitte Decker. Die Erinnerungen der jüdischen Flüchtlinge sind ganz unterschiedlich: Elischewa Limon, die schon 1933 mit ihrer Familie nach Palästina auswanderte, entschuldigt sich, dass sie deswegen ja wenig beitragen könne. Und Margot Heumann, die 1943 von Bielefeld aus deportiert wurde und als einzige ihrer Familie überlebte, fühlt sich schuldig, weil sie eben überlebte. Von ihrer ohnmächtigen Wut schreibt eine Mittachzigerin, die heute Antiquitätenhändlerin in Tampa ist: Als ihre christlichen Freundinnen nicht mehr mit ihr spielten, legte sie ihrem Gott keine Kekse und Äpfelchen mehr auf den Altar.
In 500 Exemplaren erscheint das von Brigitte Decker herausgegebene Buch. Finanziert wurde es durch die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit (GCJZ), die 150 Bücher abnimmt, durch die Friedensgruppe - und durch Spenden aus dem Kreis der jüdischen Autoren.
»Es bietet einen direkten Blick auf Kindheitserinnerungen in Bielefeld, auf Verhöhnung, Ausgrenzung, Ächtung, Ausplünderung, Vertreibung und Vernichtung«, sagt Dr. Jochen Rath, Leiter des Stadtarchivs. Manfred Seweko, GCJZ, betont, dass das Buch gut im Schulunterricht einzusetzen sei, als literarische und persönliche Begegnung. Und Oberbürgermeister Eberhard David dankte Brigitte Decker für ihr erneutes bürgerschaftliches Engagement.
»Heimweh nach Bielefeld« ist erschienen in den Bielefelder Beiträgen zur Stadt- und Regionalgeschichte. Das Buch kostet 19 Euro.

Artikel vom 16.03.2007