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Aachener Ambivalenz

Jedes Schlaudraff-Tor ist auch ein Stich ins Herz der Fans

Von Dirk Schuster
Aachen (WB). Lange biss sich Jan Schlaudraff bei den Interviews nach dem Sieg über Bielefeld auf die Zunge. Klar, der jüngste Streit des Aachener Angreifers mit den eigenen Fans wurde ja eben erst beigelegt. Aber dann musste es doch raus, das Unverständnis, das Schlaudraff für die Reaktionen der Alemannia-Anhänger empfand.

»Ich wollte es erst nicht sagen. Aber ich frage mich: Warum feiert das ganze Stadion, wenn auf der Anzeigetafel Frankfurts 1:0 gegen Bayern eingeblendet wird?« Nun ist Schadenfreude für den Rekordmeister alles andere als ein Aachener Phänomen. Aber hier scheint die Abneigung für die Münchener doch noch ein kleines bisschen größer zu sein als anderswo in der Fußball-Bundesliga. Und das wiederum hat sicher nicht zuletzt auch mit Jan Schlaudraff zu tun.
Zur neuen Saison wechselt Alemannias Nichtabstiegsversicherung (gegen Arminia ein Tor, eine Torvorarbeit) bekanntlich an die Isar. Die meisten Aachener Fans verdauen das nur schwer. Und darüber gerät dann schon mal in Vergessenheit, dass es für den eigenen Verein sehr viel besser wäre, wenn »Jannis« künftiger Klub bei einem Aachener Konkurrenten im Abstiegskampf 1:0 gewänne statt 0:1 zu verlieren.
Jan Schlaudraff will das nicht so richtig in den Kopf. Nicht, weil er kein cleveres Bürschchen wäre. Das ist er ohne Zweifel. Er hat bloß manchmal das Gefühl, dass sein Einsatz, seine Tore, die er leidenschaftlich gern für Alemannia Aachen schießt, nicht richtig gewürdigt werden.
Vielleicht gibt es etwas, das der als Profi denkende und nicht als Fan fühlende Jan Schlaudraff (»Hätten die Frankfurter nicht gewonnen, stünden wir fünf oder sechs Punkte vor denen«) nicht oder nur sehr schwer nachvollziehen kann: Mit jedem seiner Treffer wächst nicht nur die Wahrscheinlichkeit, dass Alemannia die Klasse hält, sondern auch der Trennungsschmerz des Aachener Publikums.
Heute besucht Schlaudraff seine Familie im Heimatort Bingen. Morgen fährt er nach Frankfurt, von wo er mit der Nationalmannschaft zum EM-Qualifikationsspiel nach Tschechien fliegt. »Ich bin froh, dass ich jetzt zum vierten Mal hintereinander von Joachim Löw eingeladen wurde«, sagt der 23-Jährige. Und eines ist jetzt schon sicher: Sollte Schlaudraff auch am Samstag in Prag ein Tor gelingen, brauchte er sich über die Reaktionen der Fans keine Gedanken zu machen. Hier wird jedes Tor gleich bejubelt, egal, ob es ein Aachener oder ein Bayer schießt.

Artikel vom 19.03.2007