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Eine Stadt denkt über
ihre Zukunft nach

Im Theater Symposium zum demografischen Wandel

Von Michael Schläger
Bielefeld (WB). Experten aus ganz Deutschland haben am Wochenende in Bielefeld während eines Symposiums im Theater über den demografischen Wandel diskutiert. Festredner am Samstag war der frühere Kultur-Staatsminister der Regierung Schröder und Münchener Lehrstuhlinhaber für Politische Theorie und Philosophie, Prof. Dr. Julian Nida-Rümelin.

Es war eine durchweg andere Herangehensweise an ein Thema, als man es üblicherweise von einem Symposium erwartet. Theaterspiel, wissenschaftlicher Diskurs und praktisches Erleben bei einem Stadtrundgang wurden miteinander kombiniert, um sich der Erscheinung des demografischen Wandels mit seinen Folgen zu nähern.
Diese Konsequenzen werden gern in der einfachen Formel »Wir werden immer älter, weniger und bunter« zusammengefasst. Ganz so einfach machte es Festredner Nida-Rümelin seinen Zuhörern nicht. Sein Vortrag, der sich durch geschliffene Intellektualität auszeichnete, beschäftigte sich mit der Urbanität, die er als »Normativität der Stadt« definierte. Diese Regelhaftigkeit setze sich zusammen aus den individuellen Rechten der Bürger, des Sozialwesens, das eine Kommune bilde, ihrer Identität und (ethnischen) Vielfalt.
Die Normativität sei bedroht von einer Erosion der politischen Gestaltungskraft der Städte, die sich etwa in ihrer Finanznot zeige, aber auch von Auflösungserscheinungen innerhalb der Bürgerschaft, die sich immer weniger engagiere.
Doch bei aller theoretischen Einordnung wurde Nida-Rümelin auch konkreter: Der demografische Wandel werde deshalb zum Problem, weil bereits in der Ära von Kanzler Schmidt die Weichen für eine fortschrittliche Familienpolitik nicht gestellt worden seien. Schon damals seien die Fakten bekannt gewesen, die uns heute beschäftigten. Andere Nationen wie etwa Frankreich hätten daraus Konsequenzen gezogen. In Deutschland dagegen sei das Thema tabuisiert worden.
Thesen, die in der anschließenden Diskussionsrunde aufgegriffen wurden. Dr. Walter Prigge (Stiftung Bauhaus Dessau) etwa sah in der Bevölkerungsentwicklung eher eine Bedrohung für ländliche Regionen, die sich in Teilen zu entvölkern drohten, während es gleichzeitig einen Zug zurück in die Stadt gebe.
Die Siedlung Calvinenfeld und das Klinikum Mitte waren am Samstag Nachmittag Ziele des »Demografischen Stadtrundgangs«. An ihren Beispielen wurde von Historiker Thomas Niekamp und der städtischen Demografiebeauftragten Susanne Tatje erläutert, wie sich Stadtentwicklung vollzogen hat - und wie sich in Zukunft vollziehen wird. Das Theaterstück »deutsches hysterisches museum«, das am Freitag seine Uraufführung erlebt hatte, war am Sonntag Ausgangspunkt einer Matinee zum Thema.
»Eine Stadt denkt nach«, fasste Theaterintendant Michael Heicks die Intention des Symposiums zusammen. Für dieses Nachdenken sei gerade das Theater der richtige Ort. »Auch deshalb sind wir hierher gegangen«, ergänzte Susanne Tatje, deren Arbeit inzwischen bundesweite Anerkennung gefunden hat. Für sie ist klar: »Wir müssen uns vom Paradigma des ständigen Wachstums verabschieden.« Doch darin liege auch eine große Chance.Lokale Kultur

Artikel vom 12.03.2007