10.03.2007 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Jetzt geht es um die Existenz

Kommunalunternehmen einig im Protest gegen neue Gemeindeordnung

Von Michael Diekmann
und Hans-Werner Büscher (Foto)
Bielefeld (WB). Wolfgang Brinkmann (Stadtwerke) ist empört, Norbert Müller (BGW) verärgert und Dr. Johannes Kramer (Klinik Mitte) denkt bereits an eine Verfassungsklage - Bielefelds Kommunalunternehmen protestieren im Schulterschluss gegen die geplante neue NRW-Gemeindeordnung, sprechen von Wettbewerbsverzerrung und Existenzbedrohung.

Erstmals in der Geschichte des NRW-Landtags soll bereits mit der ersten Lesung (23. März) das neue Gesetz wirksam werden. »Ein Skandal«, sagt Dr. Johannes Kramer. Das neue Gesetz sieht vor, dass kommunale Unternehmen einen dringenden öffentlichen Zweck für ihre Betätigung nachweisen müssen. Gleichzeitig soll sichergestellt sein, dass andere private Unternehmen nicht genauso gut den dringenden öffentlichen Zweck erbringen können. Damit ist nach Aussage der Kommunalgeschäftsführer die Wettbewerbsfähigkeit dahin.
Stadtwerke oder Kliniken müssen sich auf ihr Kerngeschäft konzentrieren und sind auf Bielefeld beschränkt. Das gefährdet, unterstreicht Wolfgang Brinkmann, derzeit zusammen 4400 Arbeitsplätze und 250 Ausbildungsplätze. Schlimmer noch: Weil die Erträge der Kommunalunternehmen an die Stadt abgeführt werden müssen, erwarten die Betroffenen statt Kopfschütteln einen Schulterschluss mit Kämmerer und Oberbürgermeister.
Beispiel Klinik: Um die aus der Kassen-Deckelung offenen 1,5 Millionen Euro Defizit gegenzufinanzieren, braucht die Klinik über das Kerngeschäft gehende Angebote mit Ertrag. Nach der neuen Gemeindeordnung darf sich der Ambulante Pflegedienst von AWO und Klinik nur noch mit Patienten der Klinik befassen, während konfesionelle Krankenhäuser frei arbeiten können. Geplante strategische Partnerschaften wie bei der neuen Zentralsterilisation (2,5 Millionen Euro) oder einer EDV-Kooperation sind künftig tabu.
Was Kramer besonders ärgert: Das bisherige Gleichheitsprinzip im Wettbewerb stellt das neue Gesetz auf den Kopf. Die Kommunalfirma muss besser sein. BGW-Chef Norbert Müller (12 000 Wohnungen): »Damit ist programmiert, dass die Kommunalunternehmen auf defizitären Sparten sitzen bleiben, sich aber in Ertragsfeldern dem Wettbewerb klaglos ergeben müssen.« Müller warnt nicht nur finanziellen Ausfällen bei Kommunen: »Den Schaden haben unsere Shareholder, das sind alle Bürger der Stadt. Das soziale System steht auf dem Spiel.«
Hätte es die neue Gemeindeordnung bereits 1995 gegeben, betont, Stadtwerke-Geschäftsführer Friedhelm Rieke, wäre das Versorgungsunternehmen mit defizitären Kerngeschäften auf der Strecke geblieben: »Vom Kauf der MVA über bundesweiten Stromverkauf bis zur aktuellen Beteiligung an der Westfalenbahn hätte es nicht gegeben.« Allein von den Stadtwerken erfährt die Kommune einen jährlichen finanziellen Vorteil von 65 Millionen Euro (Gewerbesteuer, Konzessionsabgabe, Gewinnausschüttung). Aufträge in zweistelliger Millionenhöhe oder hunderte Arbeitsplätze im Handwerk und Industrie gehen verloren. Brinkmann: »Wir setzen auf breite Unterstützung der Bürger.«

Artikel vom 10.03.2007