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Walter Benjamin,
deutscher Schriftsteller

»Geschichte zerfällt immer wieder
in Bilder, nicht in
Geschichten.«

Leitartikel
Heutige Geschichtslektionen

Es schnurrt der Bart - und wer besteht?


Von Rolf Dressler
In wohlfeilen Sonntags-, Mitwochs- oder Freitagsreden wird immer wieder gern auch die Frage aller Fragen aufgeworfen: ob dieses oder jenes Menschenwerk letztlich denn wohl vor der Geschichte werde bestehen können - oder eben nicht.
Als Randnoten-Schmonzette, die einer näheren kritischen Betrachtung nicht bedürfe, ließen Deutschlands Medien nun auch dem polnischen Magazin »Czas!« eine giftige Geschmacklosigkeit locker durchgehen. Groß auf dem Titelblatt Kanzlerin Angela Merkel mit Hitler-Schnurrbart, zünftig nazi-braun gewandet mit der Flagge der Europäischen Union als Armbinde, flankiert von der schmissigen Schlagzeile »EU-Faschismus greift an«. Soll heißen: Schon wieder greift der hässliche Deutsche nach der Macht.
Ein Wiederholungsfall. Zuvor schon hatte sich »Wrost«, eine andere polnische Scharfmacher-Gazette, nicht entblödet, gleichfalls auf der Frontseite die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen und CDU-Bundestagsabgeordnete Erika Steinbach in Nazi-Uniform abzubilden, reitend auf dem Rücken des damaligen deutschen Kanzlers Gerhard Schröder. Halb Polen feixte und schlug sich auf die Schenkel. »Frau Füh- rerin« als braunes Mädchen von Seite 1 - dieser Publikums-»Erfolg« muss die Kollegen von »Czas« mächtig beflügelt haben.
Als weit ärger, weil in der Kon- sequenz todernst aber entpuppen sich immer mehr die Verwicklungen, in die die Friedeneinsätze der NATO an europafernen Brandherden münden. Das beschwörende Wort, wonach Deutschland auch am Hindukusch verteidigt (!?) werden müsse, ist und bleibt gewagt. Auch und wahrlich nicht zuletzt im Blick auf das Völkerrecht.
Nicht nur nebenbei darf dabei eingeflochten werden, dass der vielgefragte NATO-Verbündete Deutschland seit dem Untergang der Hitler-Tyrannei am 8. Mai 1945 bis auf den heutigen Tag noch immer auf einen Friedensvertragsschluss mit den Siegermächten und den Dutzenden übrigen Weltkriegsgegner-Staaten wartet. Das ist, gelinde gesagt, delikat, beinahe frivol, jedenfalls ohne Beispiel in der Geschichte.
Nun also sollen deutsche Bundeswehr-»Tornado«-Kampfflugzeuge in Afghanistan Luftaufklärung betreiben und etwa auch den Fortgang von Straßenbauarbeiten dokumentieren. Können Satelliten das nicht zureichend leisten? Oder werden die (zunächst) sechs »Tornados« auch militärische Angriffsziele am Boden ausspähen?
Das allerdings wären dann in Wahrheit Kampfeinsätze in einer unberechenbar gefährlichen Weltgegend, in der Amerikaner, Briten und deren verbündete Truppen wie zuvor schon im Irak, leidvoll und unter großen Verlusten, zunehmend in einen zermürbenden Kleinkrieg mit den Taliban gezwungen werden. Womöglich kämpfen unter diesem Druck schon bald auch deutsche Soldaten im Süden Afghanistans unterstützend mit gegen einen fast unsichtbaren Feind.
In der Geschichte wechseln Rühmliches und Unrühmliches. Wer besteht - und wer versagt?

Artikel vom 10.03.2007