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Es wird übersehen, wie
handfest die Musik ist

Malte Heygster zur Situation der Musikerziehung

Bielefeld (WB). Die Musikerziehung befindet sich seit Jahren in einer Krise, der von der Politik beschworene Stellenwert der kulturellen Bildung ist oft nur ein Lippenbekenntnis. Nun drohnt dem Fachbereich Kunst und Musik an der Universität Bielefeld die Schließung. Über mögliche Wege aus der Krise sprach Uta Jostwerner mit Malte Heygster, dem ehemaligen Leiter der Musik- und Kunstschule.

Noch immer wird an vielen Schulen in Deutschland die musikalische und künstlerische Erziehung vernachlässigt. Wie sehen Sie vor diesem Hintergrund die geplanten Stellenkürzungen im Fach Musik und das damit verbundene wahrscheinliche Ende des integrativen Studiengangs Kunst und Musik? Malte Heygster: Die Universität Bielefeld hat etwas entwickelt, das es sonst an keiner Hochschule gibt. Nämlich das integrative Modell, bei dem Kunst- und Musikpädagogen versuchen, eine gemeinsame ästhetische Wahrnehmung zu entwickeln. Das ist noch im Ausbau und die Musikpädagogik kann dazu viel beitragen. Sie hat sich in den vergangenen Jahrzehnten sehr stark reformiert, übrigens in enger kooperation mit Hirnforschern und Psychologen.
So gibt es heute Lehrverfahren, über die gefühlsmäßige Aufnahme, also die affektive Rezeption, eine kognitive Rezeption entstehen zu lassen. Wir können nachweisen, wie sich Verstandeskräfte aus dem Affektiven entwickeln. Fühlen und Verstehen sind gefragt. Diese Verfahren müssen wissenschaftlich erforscht und an Studierende weitergegeben werden. Die Pläne des Rektorates sind mir daher eigentlich unverständlich. Wir brauchen heute angewandte Wissenschaft. Die Musik- und die Kunstpädagogik sind solche Wissenschaften. Und dass sich die Universität die versagen will, ist traurig, wenn es denn wirklich so ist.

Was meinen Sie, warum hat die Musik so wenig Lobby? Malte Heygster: Es ist immer so nett, wenn die Leute musizieren. Aber viele Verantwortliche haben keine Ahnung, wie intensiv das in das Leben des Menschen eindringt. Heute ist es schwer, einen Ort ohne Musik zu finden. Das entwertet die Musik.

Welchen Stellenwert hat die Musik in anderen Ländern? Malte Heygster: Ich habe Erfahrung aus Ungarn. Da hat die Musikpädagogik bis zur Wende eine ganz große Rolle gespielt, weil gründliche musikalische Ausbildung für alle angeboten.. Jeder Mensch wurde dort systematisch musikalisiert und alle haben es gerne angenommen. Wenn sie in Budapest in der Oper oder im Konzert sitzen, dann sind Sie mit Handwerkern und Straßenbahnfahreren zusammen, nicht nur mit Leuten aus dem Bildungsbürgertum. Nach der Wende hat die Nachfrage nach musikalischer Ausbildung enorm nachgelassen, weil die Leute sagen: Wir müssen Englisch lernen, wir müssen Naturwissenschaft machen, weil wir in der Welt Anschluss haben wollen. Und ich möchte das fast vergleichen mit dem, was die Universität jetzt macht, die ja auch sagt, wir brauchen die vermeintlich handfesten Dinge. Dabei wird übersehen, wie handfest die Musik und die Kunst sind.

Nochmal zurück zu den osteuropäischen Ländern. Gibt es dort nicht ohnehin eine obligatorische Breitenförderung? Malte Heygster: In Ungarn ist nach wie vor der Musikunterricht vom Kindergarten an bis in die weiterbildende Schule viel intensiver als bei uns, auch wenn ich gesagt habe, dass die Nachfrage nachgelassen hat. In den anderen osteuropäischen Ländern weiß ich nicht so gut Bescheid. Aber ich weiß natürlich, dass der Pisa-Führer Finnland ganz anders mit Musik- und Kunstunterricht umgeht als wir.

Nun hat ja Ministerpräsident Jürgen Rüttgers zugesichert, dass jeder Grundschüler ein Instrument erlernen kann. Halten Sie das für realistisch und wie schätzen Sie das generell ein?
Malte Heygster: Also das ist toll, dass Herr Rüttgers eine Initiative angenommen hat, die übrigens von einer Musikschule ausgegangen ist. Manfred Grunenberg, Leiter der Musikschule Bochum, hat die Aktion in Bochum eingeführt, was ihm kommunalpolitisch sehr viel Zuspruch eingebracht hat. Er hat nämlich nicht nur etwas angekündigt, sondern auch die Sponsoren aufgetrieben. Daran sieht man, woran das hängt. Es geht nur mit Sponsoren. Nun haben sich Bund und Land eingeklingt und wollen das auf NRW ausweiten. Ich habe die Befürchtung, dass es nicht genügend qualifizierte Lehrer geben wird. Vielleicht werden Lehrer damit betraut, die gute Musiker aber keine pädagogischen Fachleute sind. Und deswegen kann es ganz fürchterlich schief gehen und ins Gegenteil umschlagen, was wiederum ein großer Rückschlag für die Musikpädagogik wäre. Andererseits wäre es ganz wunderbar, wenn die Aktion ÝJedem Kind ein InstrumentÜ ein Erfolg würde. Aber hier sehen wir wieder, die Fachleute müssen ausgebildet werden.

Was ist mit dem Instrument Stimme? Das Singen wird ebenfalls vernachlässigt. Wäre es nicht viel einfacher, darüber auch ein natürliches Interesse an Musik zu wecken? Malte Heygster: Ich habe mich während meiner Tätigkeit als Musikschulleiter darum bemüht, das Singen zu beleben. Jetzt tue ich es wieder, unter anderem in einem Projekt in Essen. Dort arbeite ich mit Sängern des Aalto-Chores und mit Musikschullehrern an einem Programm, bei dem 600 bis 700 Grundschulkinder zu einem Riesenchor aufgestellt werden, der bei den Feierlichkeiten zur Weltkulturhauptstadt Essen singen wird. Die Essener werden nach dem Bielefelder Programm gecoacht und gehen dann in die Grundschulen, um mit den Kindern zu singen. Das Singen, hat Telemann gesagt, ist das A und O jeglichen Musizierens. Es ermöglicht, Musik am eigenen Leibe zu erfahren. Ich bezeichne das Instrumentalspiel als eine Abstrahierung des Musizierens mit der Stimme.

Sie sprachen von dem Bielefelder Programm. Können Sie das mal erläutern? Malte Heygster: Wir haben in den frühen 80er Jahren einen ungarischen Professor eingeladen, unser Kollegium nach dem Prinzip der Musikpädagogik von Zoltán Kodály zu trainieren, haben danach unsere elementare Musikpädagogik umgestellt und etwas entwickelt, das für westliche moderne Kinder anwendbar ist. Das heißt, das Singen steht über allem und wird in den Instrumentalunterricht mitgenommen. Dieses Modell hat in ganz Deutschland überregionales Interesse gefunden und meine heutige Tätigkeit besteht darin, im ganzen deutschsprachigen Raum dieses Modell zu unterrichten. Ich habe Lehraufträge in Wien an der Musikhochschule, in Bozen an der Freien Universität, an der Robert-Schumann-Musikhochschule in Düsseldorf, am Conservatorium in Osnabrück und an der Universität Bielefeld.

Nun profitiert davon immer nur ein kleiner Kreis. Ist es nicht möglich, das Modell in der Breitenförderung einzusetzen? Malte Hegyter: Das ist unter anderem eine politische Frage. Es müsste einen politischen Auftrag geben, die musikpädagogische Landschaft aus allgemeinbildnerischen Gründen zu reformieren. Die Musikpädagogen selber sind zögerlich und die Politiker erkennen nicht, welche Bedeutung musikalische Ausbildung für die Gesellschaft haben kann. Meine Hoffnung ist, dass die Politik sich dafür einsetzt, dass bestehende moderne und originelle Ausbildungszentren wie die Abteilung Kunst und Musik an unserer Uni nicht zerschlagen werden.

Artikel vom 10.03.2007