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Bestürzung über Mord an deutschem Helfer

Bewaffneten Schutz im Norden Afghanistans abgelehnt

Von Can Merey
Kabul (dpa). Die Ermordung eines deutschen Entwicklungshelfers in Afghanistan hat in Deutschland wie Afghanistan Empörung ausgelöst. Seit 2001 arbeiten Mitarbeiter der Welthungerhilfe am Hindukusch - bislang unbehelligt.

Bewaffnete Täter hielten die Autos der Deutschen Welthungerhilfe gestern in der nordafghanischen Provinz Sar-e-Pul an. Dem Deutschen und seinen drei afghanischen Kollegen raubten sie Telefone, Geld und andere Wertgegenstände. Die Afghanen wurden von den Kriminellen wegen ihrer Arbeit für Ausländer beschimpft, dann aber laufen gelassen. Den Deutschen hielten die Täter zurück. Aus der Ferne hörten die lokalen Mitarbeiter kurz darauf Schüsse. Die Mörder richteten den Helfer aus der Bundesrepublik gnadenlos hin. »Sie ließen die Leiche auf der Straße liegen«, sagt Provinzgouverneur Sayed Mohammad Iqbal Munib.
Nach dem Ende des Regimes der Gotteskrieger Ende 2001 galt Nordafghanistan - wo die deutsche Entwicklungszusammenarbeit und die Bundeswehr seit dem Jahr 2004 ihren Einsatzschwerpunkt haben - zunächst als relativ sicher. Die Tat von gestern wirft nun ein Schlaglicht auf eine Entwicklung, die schon länger andauert und immer bedrohlicher wird: Schwer bewaffnete Banden machen den Norden unsicher.
»Dort herrscht inzwischen eine viel größere Bedrohung durch Kriminelle als durch Terroristen«, sagt ein deutscher Entwicklungshelfer. »Es gibt ein riesiges Heer an Höchstkriminellen, die sich vor allem im Norden bewegen.« Dass das Problem international bislang wenig wahrgenommen wurde, liegt vor allem daran, dass die Kriminellen sich nicht trauen, die gut ausgerüsteten Soldaten der Internationalen Schutztruppe ISAF anzugreifen. Die unbewaffneten Helfer waren dagegen leichte Beute. Während andere Entwicklungshelfer inzwischen nur noch mit bewaffnetem Schutz durch Afghanistan fahren, haben Mitarbeiter der Welthungerhilfe das aus Prinzip strikt abgelehnt.
Afghanen haben dagegen nicht nur im umkämpften Süden, sondern auch im Norden genug Waffen: Beim Entwaffnungsprogramm der Regierung gaben Milizionäre oft nur alte Vorderlader ab, während sie ihre Kalaschnikow, das beliebteste Sturmgewehr am Hindukusch, behielten. In mehr als zwei Jahrzehnten Krieg und Bürgerkrieg voller Grausamkeiten und Entbehrungen hatten viele der Kämpfer Erfahrungen mit Rauschmitteln gesammelt - die in Afghanistan, dem weltweit mit Abstand größten Produzenten von Rohopium, leicht erhältlich sind.
»Viele der ehemaligen Kämpfer sind hochgradig drogenabhängig und beruflich nicht reintegrierbar«, sagt der deutsche Entwicklungshelfer. »Sie brauchen täglich Geld, um ihren Bedarf zu decken.«

Artikel vom 09.03.2007