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Von Michael Diekmann

Bielefelder
Optik

Der ganz private Wahnsinn


Fern der Praxis, aber unglaublich populistisch. Wer als Regierender laut propagiert, es denen in den Kommunalbetrieben jetzt aber mal zu zeigen und alles mit der Keule zu privatisieren, bekommt auf der Straße tosenden Beifall. Privatisierung ist immer gut, glaubt die große Politik. Schließlich lässt sie sich in Privatfirmen herzlich gern feiern. Und im Übrigen kommt Strom aus der Steckdose, gibt es Krankenhäuser genug und Wohnungen auch. Was soll also der ganze Aufschrei der Kommunalunternehmen, sie fühlten sich in ihrer Existenz bedroht?
Die Realität sieht anders aus. Die Existenz ist bereits massiv bedroht. Im Klartext: Ohne Stadtwerke, Städtische Kliniken und BGW-Wohnungsgesellschaft ist das Gemeinwesen in Bielefeld nicht mehr existenzfähig. Dabei geht es gar nicht nur um die zweistelligen Gewinnabführungen, bei denen sich Kämmerer mit klammem Stadtsäckel stets gern die Hände reiben. Es geht hier auch nicht um 4 400 Arbeitsplätze oder 250 Lehrstellen weit über Bedarf. Auch über die zweistelligen Millionenaufträge von Kliniken, Wohnungsbau und Stadtwerken an eine Vielzahl heimischer Handwerker soll jetzt kein Wort verloren werden.
Es geht vielmehr um die berühmte Mischkalkulation (erstes Semester Betriebswirtschaft), mit der defizitäre, aber lebensnotwendige Leistungen überhaupt erst finanzierbar werden, weil man sie durch lukrative Disziplinen gegenfinanzieren kann. Privatunternehmen ohne Deckung enden übrigens gezwungenermaßen in der Insolvenz (im Volksmund Pleite!). Wer die verschleppt, macht sich strafbar. Wer den Kommunalbetrieben mittels neuer Gemeindeordnung jede vernünftige Möglichkeit der Konsolidierung nimmt, macht sich strafbar - an der gesamten Bevölkerung dieser Stadt oder des ganzen Landes. Wer kommunale gegenüber privaten oder konfessionellen Unternehmen ausbremst, gerät verfassungsrechtlich in Schieflage. Und wer blindwütig nach dem Grundsatz »Privat vor Staat« handelt, vergeht sich an respektablen Unternehmen, die längst den »Kinderschuhen« der klassischen alten Stadtbetriebe entwachsen sind.
Gerade Stadtwerke und Klinik haben im Wettbewerbssystem der neuen Zeit erfolgreich Fuß gefasst. Dank Liberalisierung haben die Stadtwerke ihren Stromverkauf verdoppelt, beliefern mehr als 300 Unternehmen wie Ikea oder Krombacher mit Strom aus Bielefeld. Nach der neuen von Düsseldorf geplanten Gemeindeordnung wären den Stadtwerken Stromaktivitäten bundesweit untersagt, hätte die MVA keinen Betreiber. Wer bezahlt dann das Defizit im öffentlichen Nahverkehr, ohne den die Infrastruktur in Bielefeld längst kollabierte?
Fest steht: Private Busbetreiber kennen nur lukrative Linien. Und private Krankenhäuser keine defizitären Fachkliniken, nur weil sie der Mensch zum Überleben braucht. Interessant ist auch die Frage, wer sich um soziale Verantwortung kümmert, wenn die BGW Wohnungen in strukturschwachen Bezirken aufgeben muss, weil sie keine Gegenfinanzierung außerhalb des Kerngeschäftes mehr haben darf. Kommunalfirmen haben ein Recht auf Solidarität.

Artikel vom 10.03.2007