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Wort zum Sonntag

Von Pfarrer em. Hans-Jürgen Feldmann

Hans-Jürgen Feldmann ist Pfarrer im Ruhestand.

Übermorgen vor 400 Jahren, also am 12. März 1607, wurde in der Ortschaft Gräfenhainichen in der Nähe von Wittenberg Paul Gerhardt geboren. Neben Martin Luther, vielleicht ihn sogar darin übertreffend, ist er bis in unsere Zeit hinein der wohl bedeutendste Liederdichter der evangelischen Kirche geblieben. Andere, die es in großer Zahl ebenfalls gab, sind dagegen längst in Vergessenheit geraten. Auch das jetzige Gesangbuch enthält noch fast 30 Lieder aus seiner Feder. Dazu gehören, um nur einige zu nennen, die Texte so bekannter Choräle wie »Die güldne Sonne«, »Geh aus mein Herz und suche Freud«, »Ich singe dir mit Herz und Mund« oder - in diesen Wochen wieder an der Zeit - das Passionslied »O Haupt voll Blut und Wunden«.
Paul Gerhardts »Befiehl du deine Wege« war für Matthias Claudius »wie ein alter Freund, dem man vertraut und bei dem man in ähnlichen Fällen Trost sucht«. Ein solches Zitat sagt viel aus über die Eigenart und die Qualität des Gerhardtschen Schaffens. Er war eben nicht lediglich ein Reimer und Verseschmied, der sich zwar redlich bemüht, dem aber zum wirklichen Dichter alles fehlt. Vor allem geht von seinen Liedern eine Kraft aus, die sich jahrhundertelang bewährt hat und wohl auch nie versiegen wird. Paul Gerhardt ist im Gesangbuch der große Seelsorger und Tröster, der seinesgleichen sucht.
Das hängt vielleicht damit zusammen, dass er kein leichtes Leben gehabt hat. Bereits mit Vierzehn war er Vollwaise. Seine Jugend und seine besten Jahre fielen in die schwere Zeit des Dreißigjährigen Krieges und der sich anschließenden entbehrungsreichen Nachkriegszeit. Vielleicht war das unter anderem ein Grund dafür, dass er sich erst sehr spät, nämlich als Mann von 48 Jahren, traute zu heiraten. Eine Familie zu gründen, bedeutete damals ja zudem, das Risiko einer hohen Kindersterblichkeit einzugehen und damit zu rechnen, dass die Ehe selbst durch den frühen Tod eines der Beteiligten möglicherweise nur von kurzer Dauer ist.
So sollte es für Paul Gerhardt denn in der Tat auch kommen. Vier seiner fünf Kindern starben im zarten Alter; lediglich ein Sohn überlebte seine Eltern. Aber auch seine Frau Anna Maria, geborene Berthold, wurde nach nur dreizehn Ehejahren aus diesem Leben abberufen.
Trotz seiner hohen Begabung erklomm Paul Gerhardt, der in Wittenberg Theologie studiert hatte, in der Kirche keine glänzende Position. Wahrscheinlich strebte er von sich aus aber auch nicht danach. Denn nach seinem Verständnis mag Karrieredenken dem Evangelium, wonach Gott den unannehmbaren Menschen liebt und Christus geschickt hat, um den Sünder zu erretten, widersprochen haben. So findet er, auch schon in sehr vorgerücktem Alter, seine erste Pfarrstelle in Mittenwalde und geht von dort aus nach Berlin an die Nikolaikirche.
Dort aber wird es für ihn bald schwierig, denn er weigert sich, ein so genanntes Toleranzedikt des Kurfürsten Friedrich Wilhelm zu unterschreiben, mit dem dieser erreichen will, dass die Querelen zwischen Lutheranern und Reformierten endlich aufhören. Zwar ist Paul Gerhardt alles andere als ein Streithahn, und er ist viel zu vornehm, die andersgläubigen Evangelischen herabzuwürdigen oder gar persönlich zu beleidigen. Aber für ihn steht mehr auf dem Spiel: Als lutherischer Theologe hätte er auf eine der Bekenntnisschriften, auf die er sich bei seiner Ordination hatte verpflichten lassen, verzichten müssen. Das aber geht gegen sein Gewissen, und so bleibt ihm am Ende gar nichts anderes übrig, als abzudanken und seine letzten Amtsjahre bis zu seinem Tod am 27. Mai 1676 in Lübben im Spreewald in sehr bescheidenen Verhältnissen zu verbringen.
Man hat vermutet, dass Paul Gerhardts Kunst zu trösten und aufzurichten mit seinen eigenen Leiderfahrungen zusammenhing. Das wird wohl so sein. Aber er spricht in seinen Liedern nicht von sich selbst. Trotzdem ist alles das durch ihn hindurchgegangen und hat sein Ohr und sein Herz wohl so für Gott geöffnet, wie dies ohne diese Erfahrungen nicht möglich gewesen wäre. Daher kann er glaubwürdig von beiden reden: von der Not des Menschen und von der viel größeren Macht Gottes.

Artikel vom 10.03.2007