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Fühlten sich in der Holz-Schulbank wohl: die Bosse-Schülerinnen Janine Jensen (r.) und Svenja Jytte Krumme.

»Stock-Pädagogik« live erlebt

Bosse-Pennäler gestern zu Besuch im Schulmuseum der Universität

Von Gerhard Hülsegge
(Text und Fotos)
Bielefeld (WB). »Gerade sitzen, Hände auf den Tisch und den Blick nach vorn!« Artig saßen die Jungen und Mädchen der Bosse-Realschule gestern in ihren Holzbänken und »mucksten« sich nicht. Schließlich war Lernen angesagt - im Pädagogischen Museum der Universität Bielefeld.

»In dieser Haltung ist es fast unmöglich zu schwätzen«, erklärte Studentin Stephanie Müller den 14- bis 16-jährigen Pennälern. Denn darauf legte der Lehrkörper vor 100 Jahren besonderen Wert. Immerhin wurden im 19. Jahrhundert bis zu 100 Schüler - streng getrennt nach Männlein und Weiblein - acht verschiedener Jahrgänge in einem Raum unterrichtet. Kaum vorstellbar in heutiger Zeit.
»Schule im Wandel« lautet deshalb das Thema momentan ganz aktuell in der 1912 gegründeten Bosseschule (übrigens benannt nach dem preußischen Kulturminister). Die Schülerinnen und Schüler des Wahlpflichtkurses Sozialpädagogik (Jahrgang 9 und 10) recherchierten zunächst die fast 100-jährige Geschichte der eigenen Lehranstalt. Außerdem organisierten sie ein Treffen Ehemaliger, die die Bosseschule vor 50 Jahren besucht hatten.
Jetzt wollten sie erfahren, wie der Schulalltag »anno dunnemals« konkret aussah. Das Pädagogische Museum der Pädagogischen Fakultät der Uni bot dazu beste Gelegenheit. Leiter Dr. Volker Wehrmann hat diverse Unterrichtsmaterialien gesammelt; inklusive eines Dorfschullehrers aus Pappmaché. Der verschaffte sich im richtigen Leben nicht nur mit dem Stock Respekt. Auch die »Schellenmütze« (zum Stillstehen) und der Holzklotz (zum drauf Knien) waren ein beliebtes Züchtigungsmittel. Wer nicht hören wollte, kam auf die »Eselsbank«. Unterricht bis 16 Uhr bei zwölf Stunden Lesen und Schreiben, fünf Stunden Rechnen und sechs Stunden Religion war auch 1848 noch die Regel. Hinzu kam dreistündiger Gesang - zumeist von Kirchenliedern.
»Es ist einfach interessant, sich schon in die engen Bänke zu quetschen«, hatte auch Fachlehrerin Martina Harnold ihre Freude an dem Ausflug in die Vergangenheit. »Ich hätte früher wohl viel herumgeschrien«, meinte Bosse-Schülerin Janine Jensen, die sich durchaus vorstellen kann, einmal selbst Lehrerin zu werden. Mit 14 gingen einst die Buben in die Lehre, die Mädels meist in Haushalte. »Früher gab es kein wohl gepampertes Gucken, Suchen und Finden«, schilderte Stephanie Müller die Lehrstellensuche damals. »Aber ihr hättet gelernt, was ihr gebraucht hättet, um euer Leben zu meistern.«

Artikel vom 08.03.2007