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Derwall - der ewige Harmoniker

EM-Triumph und Türkei-Titel: Ex-Bundestrainer wird morgen 80 Jahre alt

Von Klaus Lükewille
St. Ingbert (WB). »Prost, ich bin der Jupp Derwall!« So stellte er sich vor. Prag, 11. Oktober 1978: Nach dieser Begrüßung nahm er bei seiner Länderspiel-Premiere am Hotel-Tisch der Journalisten Platz.

Die Kritiker staunten nicht schlecht. Was waren das für neue Töne? Nach dem strengen Chef Josef »Sepp« Herberger und dem immer auf Abstand bedachten Nachfolger Helmut Schön ein völlig anderer Fußball-Bundestrainer an. Ein Kumpel-Typ, ein meistens gut gelaunter Rheinländer, der gleich bei seinem Einstand die Nähe zu den Medien suchte.
Derwall, der morgen 80 Jahre alt wird, blickt zurück: »Ich hatte die feste Absicht: Mit den Journalisten musst du immer offen und fair umgehen. Leider habe ich mit diesem Stil zuletzt nicht nur gute Erfahrungen gemacht.«
Lange Leine, kurzes Ende. Denn als die deutsche Nationalmannschaft bei der EM 1984 in Frankreich vorzeitig scheiterte, da wurde der Bundestrainer zum »Buhmann«. Da zählte der EM-Titel, den er 1980 in Rom mit dem 2:1 im Endspiel gegen Belgien gewonnen hatte, schon nichts mehr. Denn in die Kritik war Derwall bereits zwei Jahre später geraten, bei der WM in Spanien. Die DFB-Auswahl scheiterte damals zwar erst im Finale gegen Italien (1:3), aber sie hatte vorher fast nur defensiv gekickt und dazu bereits in der Vorrunde das »Spiel der Schande« abgeliefert. Beim Nichtangriffs-Pakt gegen Österreich saß der Trainer hilflos auf der Bank.
Die Deutschen und die Österreicher kamen mit dem Maßergebnis 1:0 weiter, die »verschobenen« Algerier waren draußen. Derwall stellte sich anschließend ahnungslos: »Wieso? Die Partie ist doch ordentlich abgelaufen.« Nein, nein, so war das nicht. Es lief viel zu viel verkehrt damals in Spanien. Eike Immel torpedierte frustrierte Fans mit Wasserbeuteln vom Hoteldach, Paul Breitner ließ sich von einem Bild-Reporter täglich sein Fläschchen Rotwein bringen, in den Zimmern der Spieler wurde bis in die Nacht gezockt.
Und der Chef-Coach? Der gefiel sich in der Rolle des »Papa Gnädig«. Der vor kurzem verstorbene Max Merkel erfand für ihn den passenden Spitznamen: »Häuptling Silberlocke«. Derwall hockte vor dem Fußball-Wigwam, rauchte seine Zigarette und reichte den Spielern die Friedenspfeife.
Schluss mit lustig war dann aber bei der EM 1984. Der lockere Führungsstil wurde immer mehr ausgenutzt und natürlich von den Verbandsbossen beobachtet. Derwall musste gehen, er verstand überhaupt nicht wieso und warum. Seine Bilanz: 67 Spiele, 45 Siege, nur elf Niederlagen. »Was habe ich denn falsch gemacht?« Er hatte es doch richtig gut mit allen gemeint - trotzdem kippten sie ihn gleich beim ersten Misserfolg.
Derwall, der treue DFB-Diener, wanderte aus. Neues Land, neues Glück: »Meine Zeit in der Türkei war wunderbar.« Mit Galatasaray Istanbul wurde er Meister und Pokalsieger. Die Spieler verehrten ihn, sie nannten ihn nur »Pascha«. Das war seine Rolle. Geliebt, geachtet, gefeiert. Der anständige Jupp aus Würselen, der sich in Deutschland zuletzt so unanständig behandelt fühlte, er sagt heute: »Ich bin mit mir im Reinen.«
Derwall, der ewige Harmoniker, genießt in seinem Haus in St. Ingbert die späten Jahre. Mit Ehefrau Elisabeth, mit den Kindern Manuela und Patrick. Fußball gibt's nur noch im Fernsehen. Und am Abend ein gutes Gläschen. Wie damals, in Prag. Na, dann zum Wohl, Jupp Derwall.

Artikel vom 09.03.2007