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Mutter (28) wird nicht ausgeliefert

In Bielefeld lebende Türkin sollte für Straftaten aus ihrer Kindheit büßen

Von Christian Althoff
Bielefeld (WB). Das OLG Hamm hat die Auslieferung einer Türkin (28) an ihr Heimatland für unzulässig erklärt. Die Frau sollte dort für Taten büßen, die sie als Kind und Jugendliche begangen haben soll.

»Eine Auslieferung würde nach Ansicht des Oberlandesgerichts gegen die Menschenrechtskonvention verstoßen«, sagt Anwalt Wilfried Ewers, der Azize Y. vertritt. Die Frau lebt seit 14 Jahren in Bielefeld, ist mit einem Deutschen verheiratet und hat drei Söhne und drei Töchter im Alter zwischen einem und elf Jahren.
Die Türkei hatte im vergangenen Jahr die Auslieferung der Frau gefordert. Ihr wurde vorgeworfen, sie habe sich als Zwölfjährige der terroristischen PKK angeschlossen, um einen kurdischen Staat zu gründen, und Propaganda für die PKK betrieben. Als Jugendliche soll sie zudem mehrere Telefonate im Namen der PKK geführt haben.
Die Generalstaatsanwaltschaft in Hamm beantragte einen Auslieferungshaftbefehl, den das OLG aber nicht erließ. Taten, die jemand als Kind begangen haben soll, könnten nicht Gegenstand eines Auslieferungsersuchens sein, befanden die Richter. Sofern sich Azize Y. als Jugendliche strafbar gemacht habe, komme generell eine Auslieferung in Frage, zumal noch keine Verjährung eingetreten sei. Allerdings würde im Fall der Bielefelderin die Auslieferung »einen nicht zu rechtfertigenden Eingriff in das grundgesetzlich geschützte Familienleben« darstellen, heißt es in dem Beschluss aus Hamm. Rechtsanwalt Ewers: »Nach Ansicht der Richter ist es in diesem Fall unverhältnismäßig, den sechs Kindern ihre Mutter zu entreißen und in die Türkei zu schicken.« Zumal die Türkei das Verfahren gegen die Frau bereits 1995 eingeleitet, dann aber »vergessen« habe. Heute sei die Frau in Deutschland integriert und habe sich hier seit ihrer Einreise vor 14 Jahren nichts zu Schulden kommen lassen. Azize Y. sagte, in ihrer Kindheit seien ihre Eltern und Brüder immer wieder gefoltert worden. Sie habe sich deshalb mit elf Jahren der PKK angeschlossen, dort aber Probleme bekommen und 1993 in Deutschland Asyl beantragt. Seit damals habe sie sich nicht mehr politisch betätigt und auch keinerlei Kontakt mehr zu kurdischen Organisationen gehabt.
Anwalt Wilfried Ewers bezweifelt, dass Azize Y. in der Türkei einen rechtsstaatlichen Prozess bekommen hätte: »Im ersten Quartal 2006 hat die Türkei 2015 Verfahren gegen Menschen wie meine Mandantin aufleben lassen und bereits nach wenigen Wochen 416 Beschuldigte verurteilt.« So schnell könne man faire Prozesse nicht führen, sagt Ewers.

Artikel vom 08.03.2007