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Seit 400 Jahren Trost und Hilfe

»Befiehl du deine Wege«: Evangelische Kirche erinnert an Paul Gerhardt

Von Dietmar Kemper
Bielefeld (WB). Lesezeichen, Pfefferminzdosen, Porzellantassen: Nicht nur in Gestalt seiner Lieder begleitet Paul Gerhardt die evangelischen Christen durch das Jahr 2007. Zum 400. Geburtstag des wohl bedeutendsten Dichters von Kirchenliedern gibt es neben Predigten, Konzerten, Workshops und Andachten nicht zuletzt auch Andenken.

Sich an Paul Gerhardt zu erinnern, lohnt auf vielfache Weise: Seine Verse spenden Geborgenheit, Hoffnung und Trost und zeichnen sich durch eine einfache, kraftvolle Sprache aus. Um Paul Gerhardt zu verstehen, ist kein Theologie-Studium vonnöten. »Wir singen seine Lieder seit 350 Jahren, sie sprechen den religiösen Winkel in uns an«, betont der Pfarrer der Evangelischen Kirchengemeinde Sennestadt, Reinhard Ellsel.
Er hat das Buch »Du kommst und machst mich groß: Predigten zu Liedern von Paul Gerhardt« geschrieben. Gerhardt werde der »Psalmist der Christenheit« genannt, nach heutigen Maßstäben und angesichts der Wirkungsgeschichte sei er ein »Superstar« gewesen.
Gerhardts Lieder gaben zu seinen Lebzeiten sowohl dem niederen Volk als auch dem Adel geistige Wegzehrung und Zuversicht für das irdische Dasein. Dieses Leben war entbehrungsreich und brutal. Die Menschen der Barockzeit mussten durch Blut waten: Mit dem Dreißigjährigen Krieg (1618 bis 1648) machten sie eine der schlimmsten Katastrophen der Menschheitsgeschichte durch. Angesichts des Gemetzels, der Allgegenwart des Todes, bewahrte der Glaube an Gott und das ewige Leben vor Resignation und Verzweiflung. Paul Gerhardt verarbeitete sein eigenes Leid in den Liedern und stärkte mit seiner Frömmigkeit gleichzeitig den Glauben des Volkes. Dies bis heute und konfessionsübergreifend: Im Evangelischen Gesangbuch sind 26, im Katholischen Gotteslob sechs Lieder enthalten, die aus seiner Feder stammen.
Zu den bekanntesten zählt das Trostlied, das so beginnt: »Befiehl du deine Wege und was dein Herz kränkt der allertreusten Pflege des, der den Himmel lenkt.« Das Vertrauen auf Gott ziehe sich durch die Lieder Gerhardts, erklärt Reinhard Ellsel. In einfachen, jedermann verständlichen Worten habe der Barockdichter den Schöpfer als Sonne, Freund oder Brunnen dargestellt. Gerhardt wurde nicht müde, die Menschen aufzufordern, Gott zu preisen: »Lobet den Herren alle, die ihn ehren; laßt uns mit Freuden seinen Namen singen und Preis und Dank zu seinem Altar bringen.«
Der Theologe hinterließ 139 Lieder und Gedichte, darunter das berühmte Passionslied »O Haupt voll Blut und Wunden«. Die Kantoren der Kirche Sankt Nikolai Berlin, Johann Crüger und Johann Georg Ebeling, verbreiteten die Werke. Schon 1663 erschienen sie in der Schweiz, für 1722 sind die ersten französischen Übersetzungen im Gesangbuch für die Hugenottengemeinde in Berlin dokumentiert.
Gerhardts eigener Aktionsradius beschränkte sich zu seinen Lebzeiten auf den Spreewald und die Mark Brandenburg. In Gräfenhainichen kam er am 12. März 1607 zur Welt. Gerhardt studierte in Wittenberg Theologie, nach einer Tätigkeit als Hauslehrer in Berlin wirkte er seit 1651 als Propst in Mittenwalde. 1657 wechselte er nach Berlin in die Kirche Sankt Nikolai. Weil Gerhardt die reformierte Lehre ablehnte, fiel er bei Brandenburgs Herrscher Friedrich Wilhelm in Ungnade und kehrte Berlin 1669 den Rücken. In Lübben verkündete er als Archdiakon den Glauben bis zu seinem Tod am 27. Mai 1676.
In seinem fast 70-jährigen Leben hatte Gerhardt privat schwere Zeiten durchgemacht: Vier seiner fünf Kinder starben früh. Seine Lieder gerieten zu trostspendender Medizin für ihn und Millionen Menschen. 36 Kirchen, Gemeindehäuser und Kindergärten sind allein in der Evangelischen Kirche von Westfalen nach Gerhardt benannt, Straßen nicht mitgerechnet. Viele Kirchengemeinden erinnern 2007 mit Predigten, Konzerten und Exkursionen zu den Wirkungsstätten an ihn. Unter dem Motto »Lass die Engel singen« lädt die Evangelische Kirche von Westfalen für den 13. Oktober zum »Klangfest des Glaubens« nach Dortmund. Gläubige können sich an diesem Tag durch Musik und Texte des Theologen inspirieren lassen. Wer aus Dortmund eine Ansichtskarte schicken möchte, kann eine Briefmarke des Theologen für 55 Cent kaufen. Sie ist seit dem 1. März erhältlich.

Artikel vom 10.03.2007