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Familie als Wirtschaftsgut

Mehr Krippenplätze sind keine Garantie für mehr Kinder

Von Andreas Kolesch
Es ist schon merkwürdig: Wir reden über die Lage von Familien in Deutschland und sprechen ausschließlich über Geld. Die Familie als Urzelle der Gesellschaft wird mehr und mehr als Wirtschaftsgut gehandelt.

Das ist nicht verwunderlich, denn bestimmt wird die Diskussion maßgeblich durch Politiker und Ökonomen. Eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf nutzt Staat und Wirtschaft, das ist unbestritten. Die Unternehmen in Deutschland sehen sich einem zunehmenden Mangel an Fachkräften gegenüber und haben ein brennendes Interesse daran, die hohe berufliche Kompetenz der Frauen schneller als in der Vergangenheit nutzbar zu machen.
Noch einfacher ist die Rechnung für Vater (!) Staat: Jede Doppelverdiener-Familie spült zusätzliche Steuern in die Kasse - so kann die finanzielle Förderung von Familien zum Teil wieder ausgeglichen werden.
Das alles entwertet nicht die Bemühungen der Politik, mehr Geschlechtergerechtigkeit im Erwerbsleben zu ermöglichen. Doch es zeigt, dass es in der Diskussion um den Ausbau der Krippenplätze auch um handfeste wirtschaftliche Interessen geht, wenn vordergründig über gesellschaftlichen Fortschritt gesprochen wird.
Alleingelassen fühlen sich in der Krippen-Diskussion Familien, die sich für eine Arbeitsteilung zwischen Erwerbs- und Erziehungsarbeit entschieden haben. Geht es nach der SPD, soll die fällige Kindergelderhöhung zugunsten der Krippenfinanzierung ausfallen, das Ehegatten-Splitting zugunsten eines Familien-Tarifs umgestellt werden.
Die Union schweigt vorerst hartnäckig zu der Frage, woher die mindestens 3,5 Milliarden Euro kommen sollen, die zur Schaffung der 500 000 zusätzlichen Betreuungsplätze notwendig sein werden. Klar aber ist: Irgendjemandem muss am Ende in die Tasche gegriffen werden.
Ach ja: Um Kinder geht es ja auch noch. Über die wird unter Psychologen und Entwicklungsforschern heftig darüber gestritten, ob eine Außer-Haus-Betreuung bereits im Alter von sechs Monaten oder einem Jahr sinnvoll und problemlos möglich sei. Eine allgemeingültige Antwort darauf wird sich kaum finden lassen.Wer, wenn nicht die Eltern selbst, kann die einzig richtige Antwort für sein Kind geben?
Nicht zuletzt erhofft sich die Politik, dass mehr Betreuungsplätze auch die extrem niedrige Geburtenquote in Deutschland steigern könnte. Das aber bezweifeln Bevölkerungswissenschaftler wie Prof. Herwig Birg, der mehr als 20 Jahre lang an der Universität Bielefeld gelehrt hat: »Überall dort, wo in Deutschland die Geburtenrate hoch ist, ist die Frauenerwerbsquote niedrig.«
»Erziehung ist Beschenkung mit Menschlichkeit«, hat Papst Johannes Paul II. geschrieben. In Geld lässt sich dieses Geschenk nicht aufwiegen.
Andreas Kolesch (44) ist WESTFALEN-BLATT-Nachrichtenleiter. Er ist verheiratet und Vater zweier elf und 13 Jahre alter Söhne.

Artikel vom 06.03.2007