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Glücklich als Mutter und Chefin

Sylke Günner meistert Doppelbelastung durch Familie und eigenen Betrieb

Von Friederike Niemeyer (Text)
und Stefan Hörttrich (Fotos)
Steinhagen (WB). Die Tochter pünktlich zur Schule bringen, Mittagessen kochen, und wenn der Kleine schläft, die Büroarbeit erledigen und Kundentermine vereinbaren: Viele Mütter, die berufstätig sind, kennen den Spagat zwischen Familie und Beruf, den Sylke Günner Tag für Tag lebt.

Die 41-jährige Steinhagenerin ist selbstständig, trägt die Verantwortung für 21 Mitarbeiter. Der pure Stress? »Ich fühle mich glücklich und privilegiert«, sagt Sylke Günner.
Glücklich schätzt sich die Inhaberin einer Gebäudereinigung, weil sie ihre eigene Chefin ist und damit sehr selbstbestimmt arbeiten kann. Privilegiert, weil sie nicht, wie viele andere Frauen mit kleinen Kindern, aus finanziellen Gründen voll erwerbstätig sein muss. »Ich möchte arbeiten, es macht mir Spaß«, sagt Sylke Günner. »Heute ist das doch nichts Besonderes mehrÉ« Und damit lebt sie ein Stück Gleichberechtigung, das für Frauen lange nicht selbstverständlich war -Êder Weltfrauentag heute erinnert daran.
Organisation ist ein ganz wichtiges Stichwort im Alltag der Mutter und Firmenchefin. Rund um den Tagesablauf von Tochter Kira (8) und Sohn Max Marius (19 Monate) planen Sylke Günner und ihr Lebensgefährte Marco Sonnenberg ihre Arbeitszeit. Das funktioniert, weil der 44-jährige Handelsvertreter ebenfalls selbstständig ist und sich intensiv mit um die Kinder kümmert. Sie sorgt sich bis nachmittags um den Haushalt und Max Marius. Am späten Nachmittag - oder auch ganz früh morgens -Êist sie geschäftlich unterwegs, trifft sich mit Kunden und besucht die Objekte, die ihre Mitarbeiterinnen reinigen. Abends, wenn die Kinder im Bett sind, steht häufig genug Schreibtischarbeit auf dem Programm. Zeit für Freundinnen und Hobbys wie Lesen und Sport ist kostbar.
Klingt ziemlich kompliziert und anstrengendÉ »Ja, es ist ein Balanceakt, und ich bin oft selbst erstaunt, dass er klappt«, sagt Sylke Günner lachend. Unterstützung bietet neben ihrem Partner -Êund der Randstundenbetreuung für Kira -Êauch die Mutter. Die Rentnerin nimmt mittwochs die Enkel und verschafft ihrer Tochter so einen kompletten Arbeitstag. Im August kommt Max Marius dann noch zwei Tage die Woche in eine Spielgruppe.
Ab und zu wird improvisiert, kommt Max Marius beispielsweise zu einem Geschäftstermin mit. »Schließlich kann ich meinen Kunden nicht absagen, weil ich einen kleinen Sohn zu Hause habe. Andererseits ist es mir auch wichtig, den Kunden nicht das Gefühl zu geben, sie stünden bei mir an zweiter Stelle«, sagt Sylke Günner.
Weil sie die Probleme berufstätiger Mütter kennt, pflegt Sylke Günner ein gutes Verhältnis zu ihren überwiegend weiblichen Reinigungskräften. Sie kennt von jeder das private Umfeld, macht auch mal Schichttausch möglich, wenn ein Kind krank ist. »Auf der anderen Seite entlasten mich meine Mitarbeiterinnen, wenn ich nicht aus dem Haus komme«, berichtet die gelernte kaufmännische Angestellte. Ein Nebenjob in einer Gebäudereinigung war es später, der sie reizte, sich immer mehr Zusatzqualifikationen anzueignen - bis zur Meisterschule und der Selbstständigkeit 2004.
Die Schwangerschaft nach einem Jahr mit der eigenen Firma war ein großer Einschnitt, erzählt die Steinhagenerin, deren ältere Tochter Kira aus erster Ehe stammt. Bereits eine Woche nach der Entbindung kümmerte sie sich wieder um die Firma. »Aber ich arbeite jetzt anders als vorher, mache nicht mehr so viel selbst.«
Den Jungen schon früher zu einer Kinderbetreuung geben, das wollte sie persönlich nie: »Es geht so schnell mit dem Aufwachsen. Das will ich einfach miterleben.«
Trotz aller Erfüllung in Beruf und Familie -ÊSylke Günner vermisst heute auch etwas, wenn sie an die eigene Kindheit zurückdenkt: dass Kinder einfach auf der Straße spielen, ohne sich verabreden zu müssen, das unkompliziertere Familienleben von früher.
»Natürlich ist das finanziell vom Staat nicht machbar, aber ich fände es schön, wenn Mütter noch viel öfter die Möglichkeit hätten, die ersten Jahre zu Hause bleiben zu dürfen«, denkt sie laut.
Den Alltag von Sylke Günner hat auch ein Fernsehbericht heute Abend zum Thema (19.30 Uhr Lokalzeit OWL aktuell auf WDR 3).

Artikel vom 08.03.2007