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»Könnten die Mütter frei entscheiden, brauchte man maximal 600 000 Krippenplätze.«

Leitartikel
Zahl der Krippenplätze

Der
wirkliche Bedarf


Von Jürgen Liminski
Nun will man also den tatsächlichen Bedarf an Krippenplätzen ermitteln. Wie das? Hatte man da keine konkrete Vorstellung?
Hat Frau von der Leyen einfach mal so die Idee in die Welt gesetzt, eine halbe Million Krippenplätze zu schaffen? Das ist kaum anzunehmen, denn das würde bedeuten, dass sie andere Faktoren außer acht lässt und in gewissem Sinn fahrlässig mit den wirklichen Bedürfnissen der Kleinsten umgeht. Oder aber sie schafft bewusst und aus anderen Gründen Strukturen, denen sich die Mütter und Kinder anzupassen hätten, und das wäre dann fast ein Beweis für die Ideologieträchtigkeit ihrer Vorhaben.
Wie sieht nun der wirkliche Bedarf aus? Es ist natürlich nicht möglich, ihn mathematisch genau zu errechnen. Zwar ist die Demographie sehr treffsicher in ihren Prognosen, aber Schwankungen sind möglich, gerade bei einem so unsicher und von Emotionen abhängigen Volk wie den Deutschen. Vor allem aber lässt sich heute nicht abschätzen, wie viele Eltern in sechs Jahren ihr Kind in die Krippe geben wollen. Entweder man zwingt sie praktisch dazu, indem man ihnen die wirtschaftliche Basis für die Option zu Hause entzieht, also die Wahlfreiheit einschränkt und so einen Bedarf schafft, den es bei wirklicher Wahlfreiheit nicht gäbe, oder man geht von aktuellen Umfragen aus zu dem Wunsch der Frauen, ihr Kind selber zu erziehen oder es in die Fremdbetreuung zu geben.
Demographie und Wunsch der Mütter sind also die Kriterien. Mit 750 000 Plätzen läge man 2013 bei einer Quote organisierter Ganztagsbetreuung von 35 Prozent. Schon im vergangenen Jahr wurden jedoch vermutlich weniger als 700 000 Kinder geboren.
Angesichts der schwindenden Anzahl gebärfähiger Frauen wird die Zahl selbst bei einer anhaltenden Geburtenquote von 1,36 weiter sinken, die Bevölkerungskundler errechnen ein Absinken unter 600 000 bis Mitte des nächsten Jahrzehnts. Wir hätten also schon 2013 nur knapp 1,9 Millionen Kinder unter drei Jahren. Wenn ein Jahrgang das Elterngeld in Anspruch nimmt, wovon man ausgehen kann, kommen theoretisch 1,2 Millionen Kinder für Krippen infrage, das wäre dann bei 750 000 Krippenplätzen schon eine organisierte Betreuungsquote von rund 65 Prozent.
Aber so viele Frauen wollen die Kinder gar nicht in die Fremdbetreuung geben, im Gegenteil, wenn sie könnten - das haben frühere und aktuelle Umfragen übereinstimmend ergeben - würden sogar mehr als zwei Drittel ihre Kinder selber erziehen. Könnten die Mütter frei entscheiden, brauchte man maximal 600 000 Krippenplätze.
Sollen mit der neuen Struktur auch Realitäten und Bedürfnisse geschaffen werden? Man könnte das Geld dafür ja auch den Müttern selbst geben, also das Elterngeld verlängern oder überhaupt die Betreuungsstruktur individueller gestalten. So machen es die Finnen, die Franzosen und neuerdings auch die Schweden.
Sie zahlen den Müttern Geld, wenn sie selbst betreuen. Das ist nicht nur viel billiger, es käme auch vielen Familien zugute.

Artikel vom 07.03.2007