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»Rabenmutter bin ich nicht!«

Beruf und Familie lassen sich erfolgreich unter einen Hut bringen

Von Maike Stahl
In meinem Regal steht ein Buch mit dem Titel »Rabenmutter - na, und?«. Es ist ein Geschenk. Es ist verstaubt. Ich habe es nie gelesen, weil ich mich nicht als Rabenmutter sehe, obwohl ich Mutter und voll berufstätig bin. Andere sehen das anders, aber das stört mich heute nicht mehr, denn ich sehe, dass es uns abgesehen von den Sorgen, die jede Familie beschäftigen, gut geht.

Warum auch nicht? Was in einer Beziehung zählt, ob zwischen Mann und Frau oder Eltern und Kindern, ist doch die Qualität und nicht die Quantität. Zu viel Nähe kann auch problematisch werden, das wird niemand bestreiten. Und nur, weil Menschen viel Zeit miteinander verbringen, stellt sich nicht automatisch Nähe ein. Dafür müssen sie etwas tun, in jeder Beziehung.
Für meinen Mann und mich war es nie eine Frage, eine Familie zu gründen. Für mich war es aber nicht vorstellbar, meinen Beruf, der mir wichtig ist, dafür aufzugeben. Andere haben aus wirtschaftlichen Gründen gar keine andere Wahl. Doch für alle, die diesen Spagat wagen, sind zuverlässige, qualitativ gute, bezahlbare, flexible und vor allem ausreichende Betreuungsplätze auch für Kinder, die noch keine drei Jahre alt sind, unverzichtbar. Das ist nicht erst seit heute so, aber jetzt besteht dank des Vorstoßes der Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) endlich die Chance, dass sich die Situation verbessert.
Wir hatten das Glück, für unseren Jüngsten, als er ein Jahr alt war, einen Platz in einer evangelischen Kindertagesstätte zu bekommen. Das ist nicht nur für uns angenehm, weil wir wissen, dass es ihm dort gut geht, das war auch für ihn eine Riesenchance. Denn in seiner Gruppe mit 15 Kindern von vier Monaten bis sechs Jahren hat er mehr soziale Kompetenzen erworben, als ich ihm zu Hause hätte vermitteln können. Das Leben in einer Großfamilie lernen die meisten Kinder heute leider nicht mehr kennen. In einer kleinen altersgemischten Gruppe bleibt ein Stück früher selbstverständlichen Familienlebens erhalten. Die Kleinen lernen von den Großen, und die Großen übernehmen Verantwortung für die Kleinen.
Heute ist Henri dreieinhalb Jahre alt und in manchen Dingen selbständiger als sein Bruder Louis (5), der die ersten drei Jahre zunächst mit mir und dann mit meinem Mann zu Hause verbracht hat. Auch wenn ich nicht berufstätig wäre, hätte ich mir gewünscht, dass meine Kinder die Möglichkeit haben, diese Gruppe zu besuchen, wo sie von qualifizierten Erzieherinnen eben nicht nur betreut, sondern auch altersgerecht gefördert werden.
Es ist zudem aber wichtig, mehr dieser Plätze zu schaffen, weil es auch Familien gibt, in denen die Kinder zu Hause nicht so in ihrer Entwicklung unterstützt werden (können), wie es ihnen zu wünschen wäre. Ihnen würde der Besuch einer Kinderkrippe eine bessere Zukunftsperspektive eröffnen.
Ich lebe in einer Beziehung, in der jeder in gleichem Maße Verantwortung für Haushalt und Kinder, für die wirtschaftliche und emotionale Situation der Familie übernimmt. Das ist eine gute Grundlage für eine gleichberechtigte Partnerschaft und macht stark für das Miteinander. Für andere ist die Situation schwieriger. Dennoch sollte jede Mutter die Möglichkeit haben, frei zu entscheiden, ob und wann sie in ihren Beruf zurückkehren kann. Dafür müssen die Rahmenbedingungen dringend geschaffen werden.
Jede Mutter muss für sich persönlich diese Entscheidung treffen, die Gesellschaft kann und darf sie ihr nicht abnehmen. Aber eine höhere Akzeptanz aller Lebensentwürfe, ohne den einen gegen den anderen auszuspielen, würde manchen Paaren die Entscheidung für Kinder erleichtern.
Davon abgesehen ist es in einer Zeit, in der nur noch wenige davon ausgehen können, ihr 40-jähriges Betriebsjubiläum feiern zu können, auch beruhigend zu wissen, dass die wirtschaftliche Verantwortung für eine Familie geteilt werden kann.
Auch bei uns ist es nicht immer leicht. Manchmal ist es stressig, geht der Spagat an die Substanz. Manchmal ist es auch traurig, wenn die Kinder sich morgens wünschen, heute doch lieber mal einen Tag zusammen zu Hause zu verbringen. Bei uns ist es auch chaotischer als bei anderen Familien, vieles bleibt liegen, zum Beispiel der Staub auf den Büchern, in die schon lange niemand mehr hineingesehen hat. Aber abgesehen von den kleinen Katastrophen des Alltags sind wir mit dem Familienmodell, das wir gewählt haben, glücklich.

Artikel vom 06.03.2007