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»Mit Misthaken die Toten
ins Massengrab gezogen«

Rotarmisten erschießen Uwe Rahnenführers (67) Vater


Uwe Rahnenführer wurde 1940 in der Kreisstadt Lyck im südöstlichen Ostpreußen geboren (dorther stammt auch der Schriftsteller Siegfried Lenz). Er wuchs im nahen Kirchdorf Grabnick auf, wo sein Vater Hermann als letzter deutscher Pfarrer amtierte.
Der hatte den Vierjährigen und seine Frau bereits im Frühjahr 1944 zu den Großeltern nach Rügen geschickt. So blieb Uwe Rahnenführer die Flucht aus Lyck erspart, die am 21. Januar 1945 - viel zu spät - angeordnet wurde: Viele Lycker gerieten in den Kessel der 2. Weißrussischen Front. Sein Vater gelangte nur bis Hammerbruch, kaum 50 Kilometer westlich von Lyck. Uwe Rahnenführer erfuhr erst spät, was passiert war.
»Mein Bruder Hermann, der älteste von uns vier Jungs, hatte einen Freund, der eine gewisse Marta Hauptmann kannte. Die wanderte mit der Familie in die USA aus, aber der Kontakt riss nie ab, und so erreichte uns am 28. August 1995 ein Brief aus Farmington/Utah. Marta war 1945 erst 13 Jahre alt: ÝDas Jahr 1945 liegt noch ganz vorne in meiner Gedankenwelt. Wir wurden bei Familie Makohl, Hammerbruch, Abbau [Name eines abgelegenen neuen Ortsteils], gegenüber dem Friedhof untergebracht. Am Sonntag, 27. Januar 1945, kamen die ersten Russen. Am selben Tag ist die gesamte Familie Makohl freiwillig aus dem Leben gegangen.Ü
Offensichtlich erschossen die Russen zahlreiche Zivilisten. Am 8. oder 9. Februar befahl der kommandierende Offizier den Überlebenden, die Leichen von den Straßen zu schaffen. Für Martas Vater wurde - verbotenerweise - noch ein Sarg gezimmert.
Weiter im Brief: ÝEine unheimliche Stille lag über dem Ort, nur das Vieh brüllte. Auf dem Waldfriedhof von Hammerbruch war schon ein großes Grab ausgehoben. Herr Chmielewski [ein Mann aus dem Treck] fuhr dann die Toten aufsammeln. Danach sah ich, wie unser [Leiter-]Wagen voll Leichen zum Friedhof kam. Arme und Beine fielen durch die Leitersprossen. . . .  Fast oben, seitlich rechts, lag ein Herr in einem Gehpelz, die Augenfarbe war blau. Herr Max Krumeleit [einer aus dem Treck; aus Moschnen, Kreis Treuburg] sagte, dass der Tote ein Pfarrer aus Grabnick sei.Ü
Auf diesem Wege habe ich etwas über die näheren Umstände meines am 27. Januar erschossenen Vaters erfahren. Er wurde mit etwa 40 weiteren Opfern bestattet: ÝEin deutscher Soldat war auch dabei, nur mit Unterwäsche bekleidet. Dann ältere Männer und auch Frauen, auch zwei französische Kriegsgefangene in ihren Uniformen. . . . Als ich zurückkam, war Herr Krumeleit dabei, die Leichen vorsichtig mit einem Misthaken an Gürteln, Taschen und Knopflöchern ins Grab zu ziehen.  . . . Zwei kleine Mädchen zwischen fünf und sieben Jahren wurden gerade reingezogen.Ü
Marta schließt: ÝMenschen sehe ich nun mit anderen Augen. Das schwerste von allem ist, dass heute deutsche Politiker, Presse, Fernsehen dieses zum Himmel schreiende Unrecht herunterspielen und dazu noch sagen, wir haben das selbst verschuldet.Ü
Ich selbst fühle keinen Hass. Wir sind mehrfach in Grabnick und Hammerbruch gewesen. Das Grab haben wir mit polnischer Hilfe schön gestaltet. Auf einer Tafel steht jetzt auf deutsch: Jesus lebt.«

Artikel vom 03.03.2007