05.03.2007 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Ein Walzertaumel in
vielschichtigen Nuancen

»Schönheit siegt« begeistert Oetkerhallen-Publikum

Von Uta Jostwerner
Bielefeld (WB). Ein solches Konzentrat an populären Straßenfegern ist selten in Konzerten der Bielefelder Philharmoniker anzufinden, die als Motto diesmal »Schönheit siegt« ausgegeben hatten. Da könnte etwas dran sein, denn das Publikum reagierte auf das Angebot mit regem Besuch, so dass die Stuhlreihen der Oetkerhalle gut gefüllt waren.

Sicherlich, das kurze Gastspiel des Musikschulorchesters vorab erschloss dem städtischen Orchester noch einmal ein neues junges Publikum. Auch die Aussicht, mit Cornelius Meister (26) den derzeit jüngsten amtierenden Generalmusikdirektor Deutschlands am Pult zu erleben, dürfte als weiterer Grund für die Anziehungskraft des sechsten Freitags- beziehungsweise fünften Sonntagskonzerts gelten. Der charismatische Dirigent hinterließ mit seiner jungdynamisch erobernden Handschrift dann auch ein restlos begeistertes Publikum - ein Umstand, der auf die vielen Repertoireperlen allein nicht zurückzuführen ist.
Denn wie Meister einen abgewetzten Konzertwalzer wie Carl Maria von Webers »Aufforderung zum Tanz« fernab jeglicher Routine zu Gehör führt, beeindruckte ebenso wie das stilisierte und mit nobler Bewegungsgeste ein- und ausführende Solocello. Dazwischen erhob sich ein in vielschichtigen Nuancen ausgetragener Walzertaumel: Mal wild aufstampfend, mal leichtfüßig, mal drängend, mal ausgelassen, aber nie zügellos. Diese Machart der kontrolliert geführten Spannungskurve ist es auch, mit der Cornelius Meister ein zur Hintergrundmusik verkommenes Werk wie Maurice Ravels »Boléro« wiederbelebt. Sein sich fast unmerklich in die Stille schleichender Pianissimo-Beginn zwang geradezu zum genauen Hinhören. Das sich dann bis in orgiastische Bereiche aufschwingende Orchester-Crescendo geriet bezwingend subtil, raffiniert und effektvoll. Wenn hier Gleichförmigkeit und unablässige Wiederholung nicht zur Monotonie, sondern einem aufregenden Wachsen und Schwellen der Klangfarben geriet, dann nicht zuletzt auch aufgrund der musikantischen Präzision, mit der das Orchester die von Meister mit ganzem körperlichen Einsatz geforderten Maßgaben umzusetzen verstand.
Weniger durch sein Klangbild als durch seine ungewöhnliche Besetzung hat das Konzert für Koloratursopran und Orchester von Reinhold Glière einen prominenten Platz im Konzertrepertoire gefunden. Die Vokalstimme transportiert keinen Text, sondern reiht sich als Vokalisen singendes Instrument in den Orchesterklang ein. Victoria Granlund gelang dies mit bemerkenswert feinen Abstufungen und betörend zartem Klangschmelz bis hin in die ätherischen Höhen hinauf. Die eigentliche Herausforderung des ansonsten einfallslos gefälligen Werkes aber bildet seine Gratwanderung zwischen Kunst und Kitsch. Bei aller zutage gelegten Balance, Transparenz und Klangsinnlichkeit - ganz ohne klebrigen Zuckerguss gehtĂ•s scheinbar nicht. Da bildete die Ballettmusik des Russen Rodion Schtschedrin einen willkommenen Gegenpol. Dessen für Streichorchester und reichen Schlagapparat vertonte Carmen-Suite unterwandert auf raffinierte bis perfide Weise die Hörgewohnheiten Bizetscher Allgegenwart. Da überrascht die Hananera mit Glockenklang und kühl-halligem Vibraphon, da torkeln die Wachsoldaten mehr als dass sie Haltung bewahren. Mit phänomenalem Sinn für Timing und Akzente servierten Streicher und Schlagzeuger eine erfrischend andere Hommage an die ewige Verführerin Carmen. Schönheit bleibt!

Artikel vom 05.03.2007