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»Einige Hemmschwellen fallen«

Gerd Kranzmann, Leiter des Helmholtz-Gymnasiums, zu Gewalt an Schulen

Bielefeld (WB). Vor gut drei Wochen haben zwei 16- und 17-Jährige mit einer Schreckschusswaffe eine Schulklasse am Helmholtz-Gymnasium überfallen, vor einer Woche versprühte im Winfriedhaus eine Schülerin Reizgas, weil sie keine Lust auf Unterricht hatte, am vergangenen Dienstag attackierten zwei Jugendliche auf dem Schulhof des Cecilien-Gymnasiums einen Schüler und stahlen ihm einen Spiel-Computer. Ob dies Einzelfälle sind oder Anzeichen einer zunehmenden Gewalt an Schulen, darüber sprach WESTFALEN-BLATT-Redakteur Hendrik Uffmann mit Gerd Kranzmann, Leiter des Helmholtz-Gymnasiums und Vorsitzender des Bielefelder Polizeibeirates.

Herr Kranzmann, wie haben die Schüler und Lehrer ihrer Schule den Vorfall bis heute verkraftet?Gerd Kranzmann: Für die Schüler ist dieses Thema eigentlich abgehakt. Am Donnerstag habe ich noch mit dem Klassenlehrer der betroffenen Klasse gesprochen, ob jemand die eigens eingerichtete Betreuungs-Hotline des Gemeindeunfallversicherungsverbandes NRW nutzen möchte. Zwei Schüler überlegen wohl, ob sie dies tun wollen.

Bedeuten die Vorkommnisse in den vergangenen Wochen, dass das Problem Gewalt unter Jugendlichen und an Schulen zunimmt?Gerd Kranzmann: Der Anstieg der Jugendkriminalität ist ein deutliches Thema, auch im Polizeibeirat der Stadt. Sorge bereiten dabei vor allem die Intensivtäter, die mit 15 oder 16 Jahren zum Teil schon 30 Straftaten begangen haben. Aber auch an der Schule bemerken wir ganz konkret im Alltag, dass bestimmte Hemmschwellen fallen - und zwar quer durch alle Schulformen.

Gibt es dabei auch eine neue Qualität der Gewalt?
Gerd Kranzmann: Es fehlt in vielen Fällen am Unrechtsbewusstsein. Wenn zum Beispiel Mitschüler in einem Chatroom im Internet mit Fotos, Videos und Worten bloßgestellt oder lächerlich gemacht werden, empfinden manche Schüler dies nicht als den Straftatbestand der Beleidigung. Gerade bei solchen Dingen bieten die neuen Medien natürlich auch andere Möglichkeiten als früher.

Worin sehen Sie die Ursachen für die Zunahme?Gerd Kranzmann:Viele Probleme schwappen auch von außen in die Schule, etwa Streitigkeiten zwischen ethnischen Gruppen. Aber auch innerhalb der Schule wächst der Druck auf Schüler und Lehrer durch das Zentralabitur, die zentralen Prüfungen am Ende der 10. Klasse und die erhöhte Stundenzahl. Dadurch bleibt weniger Zeit für sozialpädagogische Arbeit. Sicher wäre es hilfreich, wenn es in Schulen dafür Profis gäbe. Denn Lehrer sind keine Therapeuten, und Schule kann keine Therapie leisten.

Welche Schüler sind besonders betroffen?Gerd Kranzmann: Die gefährdetsten sind die 15 bis 16-Jährigen. Auf diese Schüler konzentrieren wir uns bei der Prävention besonders.

Welche Möglichkeiten haben Schulen denn, um gegen Gewalt und Mobbing vorzugehen?Gerd Kranzmann: Wir brauchen an den Schulen ein Frühwarnsystem. Dazu müssen wir in der Lage sein, den Ehrenkodex der Schülergruppen aufzubrechen, damit es nicht als Petzen empfunden wird, wenn ein Schüler etwas auffälliges an die Lehrer weitergibt. Es muss Anlaufstellen geben, an die sich die Schüler wenden könne, spezielle Lehrer, aber auch Mediatoren aus Schülerkreisen. Darüber hinaus sind Beratung und klare Regeln wichtig. Beratung vor allem nicht nur durch die Lehrer, sondern auch durch Fachleute etwa von der Polizei. Wenn ein Kriminalbeamter erklärt, welche Auswirkungen bestimmte Taten haben können, macht das wesentlich mehr Eindruck. Außerdem müssen die Eltern mit einbezogen werden. Erst am Donnerstag hatten wir zum Beispiel einen Elternabend zum Thema Handy-Verbot an Schulen, zu dem wir auch einen Polizisten eingeladen hatten. Der Abend ist bei den Eltern auf große Resonanz gestoßen.

Ist denn ein Handy-Verbot an Schulen denn durchsetzbar?
Gerd Kranzmann: Komplett wahrscheinlich nicht. Aber dann kommt es auf eindeutige Regeln an. Am Helmholtz-Gymnasium müssen die Telefone im Unterricht ausgeschaltet werden. Wenn nicht, werden sie einkassiert. Ein anderes Beispiel ist die Internet-Nutzung in unserer Schule. Darüber haben wir einen Vertrag geschlossen, den alle Schüler und Eltern unterzeichnet haben.

Welche Konsequenzen ziehen Sie an Ihrer Schule aus dem jetzigen Vorfall?
Gerd Kranzmann: Wir müssen über eine neue Kultur des Hinschaues nachdenken, längerfristig eine noch stärkere Vertrauensbasis zu den Schülern schaffen und auch die Eltern stärker mit einbeziehen. Bereits jetzt veranstalten wir jedes Jahr vier bis fünf Elternabende zu speziellen Themen, haben zu Streitschlichtern ausgebildete Schüler. Ich meine jedoch, die Vorkommnisse sollten nicht dramatisiert werden. In ganz vielen Schulen in Bielefeld wird schon seit längerem gute und erfolgreiche Arbeit in der Prävention von Gewalt geleistet.

Artikel vom 03.03.2007