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Max traf der Schlag, als er ein Baby war

700 kleine Hirn-Infarkt-Opfer pro Jahr: Die Krankheit der Alten trifft auch die Jüngsten

Von Christian Althoff
Schloß Holte-Stukenbrock (WB). Als Max im Sommer ins Gymnasium eingeschult wurde, stellte sich sein Vater vor die Klasse und erklärte den Kindern, was ein Schlaganfall ist. »Sie sollten wissen, warum mein Sohn den linken Arm so verkrampft hält, und dass Max in einigen Situationen Hilfe braucht«, sagt Arnold Ackermann (56) aus Schloß Holte-Stukenbrock (Kreis Gütersloh).

Ein Schlaganfall im Kindesalter - Jahr für Jahr trifft der Hirn-Infarkt in Deutschland etwa 700 Jungen und Mädchen. »In den meisten Fällen erleiden die Kinder den Schlag bereits im Mutterleib«, erklärt Prof. Johannes Otte, Leiter der Kinderklinik Bielefeld-Bethel. Extreme Schwankungen des Blutdrucks lösten beim Kind eine Blutgerinnung aus, zusammenklebende Blutplättchen verstopften dann im Gehirn eine Ader und führten zum Absterben einer Hirnregion, sagt der Mediziner.
Ob auch Max seinen Schlaganfall als Ungeborener erlitten hat oder der Infarkt auf die schwierige Geburt zurückzuführen ist, ist ungeklärt. »Unser Sohn war ein dreiviertel Jahr alt, als uns auffiel, dass beim Krabbeln immer der linke Arm einknickte«, erinnert sich der Vater, der in Schloß Holte-Stukenbrock ein Fitness-Studio betreibt. Der Kinderarzt habe ihn beruhigt, dass sich das legen werde, sagt Arnold Ackermann, aber er habe der Diagnose nicht getraut: »Irgendwann habe ich Max genommen und bin mit ihm zur Kinderklinik nach Bethel gefahren.« Als der Sportlehrer Stunden später nach Hause zurückkehrte, war er alleine. »Die hatten Max gleich dabehalten«, erinnert sich Edeltraut Ackermann (49). Ein Elektro-Enzephalogramm (EEG) hatte ergeben, dass in der rechten Gehirnhälfte des Jungen ein walnussgroßes Stück abgestorben und vernarbt war - die Folge eines Schlaganfalls. »Das war für uns natürlich ein Schock«, sagt die Mutter. »Bis dahin hatten wir geglaubt, nur alte Menschen könnten einen Hirn-Infarkt erleiden.«
Der Junge hatte noch Glück, denn die Hirnschädigung wirkt sich nur körperlich aus. »Max' Gehirn weiß nicht, dass er auch eine linke Hand hat«, erklärt der Vater. Die Steuerung ende am Ellebogen, die Hand krampfe sich oft unkontrolliert zusammen. Weil Max die linke Hand nicht benutzen kann, drohen ihm allerdings schwere körperliche Schäden: »Wenn wir nichts unternähmen, würden seine Muskeln auf der linken Seite bis hin zu Brust, Schulter und Rücken verkümmern«, erklärt der Vater. Der Körper werde asymetrisch, ein Hüftschiefstand, eine krumme Wirbelsäule, kaputte Knie und Gleichgewichtsprobleme seien die Folgen.
Um das zu verhindern, begann die Therapie bereits in frühester Kindheit. »Ich musste jeden Woche zum Reiten, zum Schwimmen, zur Ergo- und zur Physiotherapie«, erinnert sich Max (11) , der inzwischen sogar das Schwimmabzeichen in Silber errungen hat. »Unglaublich!«, lacht sein Vater stolz, der selbst einmal versucht hat, mit einem Arm zu schwimmen: »Ich habe mich nur im Kreis gedreht!«
Jahrein, jahraus zur Therapie - irgendwann hatte der Schüler die Nase voll. »Ich hatte ja überhaupt keine Freizeit mehr!«, klagt Max. In Absprache mit den Ärzten strichen die Eltern das Pflichtprogramm des Jungen rigoros zusammen. Wesentlicher Bestandteil sind heute zwei Stunden pro Woche im elterlichen Fitness-Studio. »Ich habe eine Manschette anfertigen lassen, mit der ich Max' linke Hand an Trainingsgeräten befestigen kann«, erklärt der Vater. Wenn der Junge etwa an einem Fitnessgerät über sich greift, um an einer Stange Gewichte herunterzuziehen, tut er das mit der gesunden Hand, aber der linke Arm macht die Bewegung gezwungenermaßen mit - was die Durchblutung auch der Knochen und den Muskelaufbau fördert. »Das funktioniert so gut, dass ich Eltern von Schlaganfallkindern eingeladen habe, zu uns zu kommen«, sagt Arnold Ackermann, der eine Selbsthilfegruppe gegründet hat. Elf Kinder aus Ostwestfalen-Lippe nutzen inzwischen das Angebot, kostenlos zu trainieren. So hat Max auch seinen besten Freund Marc (13) aus Verl kennengelernt. Der war sieben Jahre, als er eines Morgens schwere Kopfschmerzen verspürte. Was Ärzte zunächst für eine Migräne hielten, stellte sich dann als Schlaganfall heraus - wahrscheinlich ausgelöst durch eine angeborene Gerinnungsstörung. Während Marc blutverdünnende Medikamente nehmen muss, ist Max auf Tabletten angewiesen, die schwere Krampfanfälle verhindern sollen. »Denn die Narbe in seinem Gehirn kann elektrische Reize auslösen und so die Steuerungsfähigkeit des Gehirns stören«, erklärt Prof. Johannes Otte.
Trotz seines Handicaps meistert Max seinen Alltag alleine. Die Knöpfe an seinen Hosen hat seine Mutter gegen Klettverschlüsse ausgetauscht, und wenn der Junge mal eine Reissverschlussjacke trägt, helfen ihm seine Mitschüler. »Für die ist das inzwischen ganz normal, dass mein linker Arm nicht funktioniert«, sagt Max, der später einmal Richter oder Moderator werden will.
Seit Ende vergangenen Jahres lernt der Junge sogar ein Instrument: »Ich habe es erst mit Schlagzeug probiert. Papa hat mir einen Schlagstock an die linke Hand gebunden, aber ich habe eingesehen, dass das auf Dauer nicht klappen konnte.« Seit Dezember übt Max nun Trompete: »Die kann man auch einhändig spielen.«

Artikel vom 03.03.2007