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Mitjas mutmaßlicher Mörder schweigt

Uwe Kolbigs Flucht endete mit Selbstmord-Versuch - vor eine Straßenbahn geworfen

Leipzig (dpa). Aufatmen im Fall Mitja: Eine Woche nach dem gewaltsamen Tod des neunjährigen Jungen aus Leipzig hat sein mutmaßlicher Mörder die Flucht mit einem Selbstmordversuch beendet.
Mitja wurde erst missbraucht, dann ermordet.
Uwe Kolbig überlebte schwer verletzt.

Der 43-jährige Uwe Kolbig warf sich in der Nacht zum Donnerstag vor eine Straßenbahn - nur etwa 200 Meter von seiner Wohnung nördlich von Leipzig entfernt. Der mehrfach vorbestrafte Kinderschänder kam mit schweren Verletzungen in ein Krankenhaus. Er schwebe derzeit nicht in Lebensgefahr, hieß es aus der Klinik. Gleichwohl verkündete ein Richter den Haftbefehl. Mitjas Eltern waren nach der Verhaftung erleichtert. Kolbig soll den Jungen sexuell missbraucht und erstickt haben. Die Leiche wurde in der Gartenlaube des 43-Jährigen gefunden.
Zu den Tatvorwürfen schweigt der mutmaßliche Mörder. Kolbig habe sich vor dem Ermittlungsrichter auf sein Aussageverweigerungsrecht berufen, teilte die Staatsanwaltschaft Leipzig mit. Der Richter habe dem 43-Jährigen den seit Sonntag bestehenden Haftbefehl wegen Mordes verkündet. Weitere Vernehmungen hat es aufgrund der Verletzungen nicht gegeben. »Sein Zustand kann noch kippen, und es ist nicht auszuschließen, dass es noch zu einer lebensgefährlichen Situation kommt«, erklärte eine Sprecherin des Krankenhauses.
Der mutmaßliche Mörder war nach Angaben der behandelnden Ärzte wach und ansprechbar, aber noch in einem kritischen Zustand. Der 43-Jährige werde am Krankenbett strengstens bewacht, betonte der Leipziger Polizeipräsident Rolf Müller. »Den lassen wir jetzt keine Sekunde aus den Augen.«
Nach Einschätzung der Ermittler hatte Kolbig wegen des hohen Fahndungsdrucks aufgegeben. »Er wusste nicht mehr weiter und hat dann die Flucht selbst beendet«, sagte Müller. Seit Sonntag hatten hunderte Polizisten mit Fährtenhunden, einem Hubschrauber und der Reiterstaffel große Gebiete nördlich von Leipzig abgesucht. Das große Gelände sei sehr schwierig und unwegsam.
Mitja ist nach bisherigen Erkenntnissen entweder in der Wohnung oder im benachbarten Kleingarten seines mutmaßlichen Peinigers getötet worden.
Über den Fluchtweg des Mannes gab es zunächst nur wenige Informationen. »Wir wissen zum Beispiel noch nicht genau, wo er geschlafen hat«, sagte Polizeipräsident Müller. Uwe Kolbig habe aber praktisch keine Chance gehabt. Mit Fährtenhunden sei noch in den Morgenstunden ein Teil des letzten Weges vor dem Suizid-Versuch rekonstruiert worden. Der Fahrer der leeren Straßenbahn, vor die Kolbig gesprungen war, erlitt einen Schock. Er hatte den Gesuchten sofort erkannt und die Polizei verständigt.
Die Anwältin von Mitjas Familie, Ina Alexandra Tust, erklärte, ihre Mandanten seien zur Zeit bei Freunden untergebracht und würden von Seelsorgern betreut. Das Ziel der Familie sei es aber, wieder im gewohnten Umfeld leben zu können. »Wir bitten daher darum, die Familie nicht aufzusuchen, um an Informationen zu erlangen«, appellierte die Anwältin.
Unterdessen haben Politiker als Konsequenz aus dem Mord an Mitja schärfere Auflagen für Sexualstraftäter nach der Haftentlassung gefordert. Nach Auffassung des bayerischen Innenministers Günther Beckstein (CSU) müssen »gefährliche Triebtäter so lange hinter Schloss und Riegel bleiben, bis jede Rückfallgefahr gebannt ist«. Die Sicherheit von Kindern müsse ganz klar Vorrang vor den Freiheitsrechten eines bereits wegen Sexualdelikten aufgefallenen Menschen haben, sagte er. Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) hat sich für schärfere Kontrollen gefährlicher Straftäter ausgesprochen. »Ich denke, es besteht ein allgemeiner Konsens, dass gefährliche Straftäter nach der Haft intensiver kontrolliert und wenn nötig auch in Sicherheitsverwahrung genommen werden müssen.«
Der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Dieter Wiefelspütz, sagte: »Es muss zwischen Sicherungsverwahrung und Freiheit eine Führungsaufsicht mit Meldeauflagen und bei Bedarf Therapieauflagen geben.«
Eine 100-prozentige Sicherheit bei Prognosegutachten für Sexualstraftäter kann es nach Ansicht des Psychologen Rudolf Egg nicht geben. »Wir können nicht in die Köpfe von Menschen hineinschauen, da gibt es Grenzen«, sagte der Leiter der Kriminologischen Zentralstelle des Bundes und der Länder in Wiesbaden.

Artikel vom 02.03.2007