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Der Club der lebhaften Frauen

In der Auto-Kultur-Werkstatt ist alles erlaubt, nur phantasievoll soll es sein

Von Matthias Meyer zur Heyde und Bernhard Pierel (Fotos)
Bielefeld (WB). Zuerst war die Tür da, dann wurde der Durchlass in passender Größe gemauert: Hinter zwei Torflügeln, die von einem alten Bauernhof stammen, erstreckt sich ein charmant verwitterter Patio, und von dort betritt der Besucher die »Werkstatt«.

An der Teichstraße 32 wurden früher aus Schrott fahrbare Vehikel geklöppelt. Und auch jetzt noch werden hier Dinge verarbeitet, die keiner mehr braucht: In der »Auto-Kultur-Werkstatt« (AKW) entsteht seit nunmehr drei Jahren aus Drähten und Elektrokabeln, aus Garnrollen und Buntmetallstreifen, aus verrosteten Fahrrädern, gerne auch aus Zuckerwürfeln, Kunst.
»Die AKW ist ein besonderer Ort, an dem sich Menschen frei entfalten können, ganz unbeschwert von anderswo geltenden Normen und Werten«, sagt Elke Werneburg über den Geist, der hier umgeht. Gemeinsam mit der Künstlerin und Psychologin Carmen Burian (62) und der Schweizerin Marianne Voss (44) haucht die freischaffende Künstlerin (»schreiben Sie: 50«) der Melange aus Privatraum, Atelier und Bühne Leben ein. So vernehmlich pulsiert das kulturelle Herz an der Teichstraße, dass sich die Stadt in diesem Jahr zu den »Nachtansichten« (28. April) erstmals mit der AKW schmücken möchte.
»Ich arbeite liebend gerne mit Fundstücken«, sagt Elke Werneburg, und es ist ihr egal, ob sie zentnerschweres, bizarr geformtes Alteisen vom Schrottplatz in die AKW zerren muss, oder ob sie in einem israelischen Café ein paar Zuckertütchen ins Handtäschchen expediert. Zuckertütchen mit den Porträts wichtiger Männer. Läse der Mitteleuropäer fließend Hebräisch, könnte er die Identität der würdigen Herren zweifelsfrei klären, aber auch so ahnt er, dass David Ben Gurion tütchenwürdig ist, Chaim Weizmann vielleicht und Theodor Herzl ganz gewiss.
Tochter Zion, freue dich, es gibt was Süßes: Angeregt von der jüdischen Kinokomödie »Alles auf Zucker«, hat Elke Werneburg aus Saccharose, Glukose& Co. ein Modell von Israel geschaffen: hier der Felsendom (Zuckerguss), dort die Mauern um Palästina (Zuckerstangen), dahinter die Negev (Raffinade-Zucker) und ringsherum Zuckerwürfel, damit man sieht, wo die Kunst aufhört und die Tischplatte anfängt.
Sinnend steht man vor dem Werk, und man ahnt die Ironie: Ganz so dulce et decorum, so süß und ehrenvoll, ist es eben nicht, fürs Vaterland, für Mossad oder Intifada sein Leben in die Waagschale zu werfen.
»Aus dem Material erwachsen die Ideen«, meint Elke Werneburg, und hinter ihr blinkt und blitzt eine elektrifizierte Kabelskulptur, die schon bei den Stadtwerken ausgestellt war: Mann und Frau strampeln auf einer Fahrradruine, und wenn das Herz der Frau erglüht, blinkt des Mannes Gehirn. Gegenüber klingeln und ringeln sich rot-goldene Metallbänder zum Kleide, in das sich mal ein Transvestit zwängen musste - ja, ja, tief- und hautabschürfend ist die Kunst.
Unterdessen arbeitet die Filmspezialistin Carmen Burian an einem Video, das während eines AKW-Events aufgenommen wurde und das nun seine endgültige Schnittfassung erhält. »Die Aktionen, die hier zu sehen sind, fanden zeitgleich statt, und das muss der Zuschauer auch im Video erkennen können«, sagt die Künstlerin.
Für Aktionskunst jeder Art ist die AKW mit dem Wohnzimmersaal, der Küchenattrappe, in der selbst Zwerge Platzangst kriegen, und mit den in geheimnisvolles Halbdunkel getauchten Nebenräumen der ideale Ort. Beim Poetry Slam schmatzen »Musenküsse«, Garagenrockbands dschämmen, und das Treppenhaus mutiert zur Galerie. Ebendort soll sich auch ein Teil der »Nachtansichten« abspielen; Carmen Burian hat hier mal ein Video in die Treppenhauskuppel projiziert, dessen Bilder über spiegelnde Glasplatten zaubergleich umgelenkt wurden.
Die »Oralapostel« servierten hier gemüsezentrierte Eat Art, und eine hochalpine Dame wollte die Ostwestfalen das Jodeln lehren (es kam keiner). Radikal, spinnert, spaßig - bunt schillert das Selbstverständnis der geist- und phantasievollen AKW-Aktivistinnen, die dem Neuling ebenso ein Forum bieten wie der arrivierten Szene.
Der Club der lebhaften Künstler funktioniert übrigens wie eine WG. Skulptur reinrollen und dann abgehobene Statements produzieren ist verpönt - bitte mit anpacken! Staub wischen! Getränke ausschenken! Und nach getanem Event das Mobiliar zurechtrücken!
Werkstattgespräche, Filme bis zum Umfallen und Schwarzlicht-Tarot (huaaa!) - all das ist die »Auto-Kultur-Werkstatt«. Wer's detailliert mag, ruft an (05 21 / 5 21 45 28) oder schickt eine Mail an auto-kultur-werkstatt@web.de.

Artikel vom 13.03.2007