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Behörde holt
Jungen aus
Kindergarten

Vierjähriger jetzt in Pflegefamilie

Von Christian Althoff
Bielefeld (WB). Das Bielefelder Jugendamt hat einer alleinerziehenden Mutter ihren vierjährigen Sohn weggenommen - weil das Wohl des Kindes gefährdet gewesen sein soll. Wilfried Ewers, der Anwalt der Frau, hält das Vorgehen der Behörde für maßlos überzogen.

Der Anruf des Amtes hatte die Mutter vor einer Woche erreicht: »Man sagte mir, man habe Sven soeben aus dem Kindergarten abgeholt und in einer Pflegefamilie untergebracht«, erinnert sich die Frau. Das Kindeswohl sei in Gefahr gewesen, habe der Sachbearbeiter erklärt.
Der Rechtsanwalt erfuhr, dass die Behörde die medizinische Versorgung des Jungen für unzureichend hält: »Sven ist vier Jahre und hat erhebliche Sprachdefizite, weswegen die Mutter seit längerem mit dem Jugendamt in Verbindung steht. Man kann ihr wirklich nicht vorwerfen, sie wolle ihrem Kind nicht helfen.«
Die Frau: »Nachdem mir aufgefallen war, dass Sven nicht richtig sprechen lernt, hatte mir unser Kinderarzt empfohlen, den dritten Geburtstag abzuwarten und bis dahin alles aufzuschreiben, was der Junge sagt.« Als keine Besserung eintrat, suchte die Mutter weiteren Rat. Ihr Anwalt: »Eine umfassende Untersuchung in der Kinderklinik Bethel stand unmittelbar bevor. Es besteht nämlich der Verdacht, dass Sven nicht richtig hören kann und deshalb Sprachschwierigkeiten hat.« Zudem sei der Junge in einer heilpädagogischen Tagesstätte angemeldet gewesen, die er am vergangenen Freitag zum ersten Mal besuchen sollte.
Der Rechtsanwalt erklärte, seine Mandantin sei weder alkohol- noch drogensüchtig. Ewers: »Der Junge ist gut genährt und hat zu Hause alles, was er braucht. Es gibt keinen Grund, dieses Kind aus seiner vertrauten Umgebung zu reißen.« Selbst wenn der Verdacht des Jugendamtes zuträfe, dass die medizinische Versorgung nicht angemessen sei, gebe es weniger einschneidende Mittel, um dem Jungen zu helfen: »Man hätte der Mutter eine sozialpädagogische Familienhilfe zur Seite stellen können.« Die Mutter sagte, sie wisse nicht, wie Sven die Trennung verkrafte: »Es ist das erste Mal, dass er nicht bei mir ist.« Auch für sie sei es unerträglich, nicht zu wissen, wo ihr Kind sei.
Der Anwalt kritisiert zudem, dass das Jugendamt nicht unverzüglich nach der Inobhutnahme einen Richter eingeschaltet habe, wie es das Gesetz vorsieht. Ein Sprecher der Stadt erklärte zwar gestern, man habe bereits am Donnerstag das Familiengericht informiert, doch beim Amtsgericht hieß es, dort habe erst am Dienstagnachmittag ein Schreiben der Behörde vorlegen. Rechtsanwalt Ewers: »Seit die Jugendämter einiger deutscher Städte in der Kritik stehen, weil sie die massive Vernachlässigung von Kindern nicht bemerkt haben, kommt es zu Überreaktionen - wie im Fall von Sven, in dem auch über das Ziel hinausgeschossen wurde.«
Der Anwalt hat gestern beim Familiengericht die Herausgabe des Kindes beantragt.

Artikel vom 01.03.2007