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Jugoslawien nicht
verantwortlich

Sühne für Srebrenica gibt es nicht

Von Thomas P. Spieker
Den Haag (dpa). Das Massaker von Srebrenica, die Ermordung von 8000 bosnischen Muslimen im Juli 1995, gilt als das schlimmste Kriegsverbrechen in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg.

Das UN-Tribunal für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag hat es längst als »Völkermord« charakterisiert. Und der benachbarte Internationale Gerichtshof, höchstes Gericht der Vereinten Nationen, schloss sich dieser Einstufung gestern an. Doch auch mit diesem Urteil wird die Frage nicht beantwortet, wer für die schrecklichen Gräueltaten von Srebrenica die Verantwortung trägt.
Das UN-Tribunal in Den Haag hat über einzelne Angeklagte zu urteilen. Es hat noch niemanden rechtskräftig wegen Völkermordes verurteilt. Der Internationale Gerichtshof entscheidet über Streitsachen zwischen Staaten und hatte über eine Völkermordklage Bosnien-Herzegowinas gegen Jugoslawien zu entscheiden. Sein Urteil: Jugoslawien ist nicht verantwortlich für Srebrenica, auch wenn es unterlassen hat, das Massaker zu verhindern und die Schuldigen einer Strafe zuzuführen.
Entscheidend für das ehrwürdige Gericht im prunkvollen Haager Friedenspalast war die Analyse, dass die bosnischen Serben im Bürgerkrieg um die - von den Muslimen gewünschte - Unabhängigkeit von Jugoslawien keineswegs dem direkten Kommando ihrer serbischen Förderer in Belgrad unterstanden. Genau das hatte auch der damalige (serbische) Präsident Jugoslawiens, Slobodan Milosevic, in dem gegen ihn geführten Völkermordprozess vor dem UN-Tribunal immer angeführt. Milosevic starb vor einem Jahr im Gefängnis, noch bevor das Tribunal ein Urteil fällen konnte.
Was nun der Gerichtshof entschieden hat, wäre im Milosevic-Prozess eine Katastrophe für die Ankläger gewesen. Der Gerichtshof ging sogar noch weiter: Jugoslawien habe trotz seiner massiven militärischen und politischen Unterstützung für die bosnischen Serben nicht einmal Beihilfe zum Völkermord geleistet. Denn es sei nicht nachgewiesen, dass man in Milosevics Belgrad von den finstersten Absichten der bosnisch-serbischen Brüder wusste und die Hilfe entsprechend zielgerichtet gab. Immerhin - eine Ahnung hätte man haben können und alles tun müssen, um Massaker zu verhindern. So, wie es das Gericht in einem frühen Stadium dieses seit 1993 laufenden Verfahrens sogar ausdrücklich angeordnet hatte.

Artikel vom 27.02.2007