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Strafen und Therapien haben nichts genutzt

Alkoholkranker Wiederholungstäter erneut vor Gericht

Von Jens Heinze (Text und Foto)
Bielefeld (WB). Am Bielefelder Landgericht wird seit gestern Rechtsgeschichte geschrieben. Erstmals soll gegen einen alkoholkranken Wiederholungstäter, bei dem alle Therapien und Strafen versagt haben, das letzte Mittel der Justiz verhängt werden - die nachträgliche Sicherungsverwahrung.
Ging in Deckung: der Angeklagte Jürgen W.

Der Angeklagte Jürgen W. (61) aus Bielefeld soll mit Verhängung der Sicherungsverwahrung auf unbefristete Zeit in der Zelle sitzen, obwohl er aktuell keine Straftat begangen hat (wir berichteten). Seit November 2001 befand sich der Mann im Gefängnis beziehungsweise in der geschlossenen Klinik, nachdem der chronische Alkoholiker in Bad Oeynhausen (Kreis Minden-Lübbecke) mit 3,62 Promille im Blut einem Zechkumpanen den Schädel eingeschlagen hatte. Eigentlich wäre der 61-Jährige vor kurzem entlassen worden.
Er sitzt aber weiter ein. Denn trotz Jahre langer Straffreiheit strebt die Staatsanwaltschaft Bielefeld über den Paragrafen 66b des Strafgesetzbuches die nachträgliche Sicherungsverwahrung für Jürgen W. an, um neue Taten zu verhindern. Haft und Maßregel-Vollzug (Unterbrigung in der geschlossenen Klinik) haben bei ihm stets versagt. Der Angeklagte ist 21-fach vorbestraft, wurde als 16-Jähriger erstmals verurteilt. Seine schlimmsten Verbrechen hatte er im Januar 1985 und zu Ostern 1996 in Bielefeld begangen. Betrunken hatte er eine Frau verprügelt und gefoltert, elf Jahre später erschlug er einen Zechkumpanen. Kaum aus der Haft entlassen, hatte der 61-Jährige jedes Mal wieder zur Flasche gegriffen und war kriminell geworden.
»Der Alkohol ist mein Lebensfeind«, bekannte Jürgen W. vor Gericht. Der ehemalige Kellner kann sich unter Promilleeinfluss nicht kontrollieren. Die Gutachter Dr. Gerhard Dankwarth und Bernhard Bätz bescheinigten dem 61-Jährigen vor der X. Großen Strafkammer eine »chronische Alkoholabhängigkeit« sowie eine »Persönlichkeitsfehlentwicklung«. »Wenn er trinkt, dann ist er gefährlich«, warnten die Psychiater vor neuen Taten.
Dagegen kämpfte Verteidiger Dr. Carsten Ernst mit harten Bandagen. So warf der Bielefelder Rechtsanwalt dem Gericht vor, die beabsichtigte nachträgliche Sicherungsverwahrung stelle eine Doppelbestrafung für Jürgen W. dar. Bei diesem Verstoß gegen das deutsche Grundgesetz und die Europäische Menschenrechts-Konvention sei das Bundesverfassungsgericht gefordert. - Der Prozess wird morgen fortgesetzt.

Artikel vom 27.02.2007