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Bässe bringen Belgrads
Mauern zum Zittern
Ruppige Ostalgie trifft neues Lebensgefühl einer durchaus charmanten Stadt
Predrag Peschakovic grinst verschmitzt. »Ja, von den Buddelschiffen aus Deutschland habe ich schon gehört.« Der 62-jährige Ökonom aus dem Kosovo, der seit mehr als 30 Jahren in Belgrad lebt, zeigt eine Slivovitz-Flasche vor: »Aber ich baue Kirchen dort hinein. Bitteschön, 60 Euro!« Die Touristen gehen weiter, doch ein Serbe bleibt stehen und handelt den Preis auf 40 Dollar herunter. Sascha hat es nach New York verschlagen, aber alle paar Jahre zieht es ihn in die alte Heimat. »Leute wie er sind meine besten Kunden«, sagt Peschakovic, »sie wollen sich ein Stück Serbien in ihr neues Zuhause stellen.«
Die Kunden im Möbelsalon ein paar Straßen weiter sehen das ganz ähnlich, auch ihnen geht es darum, mit etwas Unverwechselbarem aus ihrem Land die eigenen vier Wände zu verschönern. Aber bei »Sfera« gibt es keine Volkskunst, sondern »Bio-Design«: 12 junge Nachwuchs-Künstler wollen beweisen, dass trendige Entwürfe nicht nur aus Italien kommen können.
Moderne Wohnkultur vom Balkan findet immer mehr Freunde - wenn auch das Interieur oft so gar nicht zur Außenfassade der Häuser passt. Das kann man auch vom »Sfera« sagen. Die Strahinjica-Straße wirkt ein wenig wie Berlins Prenzlauer Berg: Ruppige Ostalgie trifft neues Lebensgefühl.
Es herrscht Aufbruchstimmung: Zahlreiche Kneipen haben sich auf den Bürgersteigen des Skadarlija-Viertels breit gemacht. Und ihre Besitzer haben Phantasie und Humor. Ein Lokal lässt Ex-Herrscher Tito hochleben, ein anderes bietet zwischen Straße und schäbiger Hauswand ein Stückchen Afghanistan: Im »Kandahar« fläzen sich die Gäste lässig in weiche Kissen, lümmeln unter einem Zeltdach, genießen Caipirinha und und Latte macchiato.
Kein Zweifel: Belgrad hat das Trauma des Krieges und insbesondere des NATO-Bombardements überwunden, strebt geradezu ungestüm zu neuen Ufern. Laut geht es an den Gestaden von Donau und Save zu, wo einige Dutzend Lastkähne vor Anker liegen. Die Boote wurden umfunktioniert - zu Bars und Diskotheken.
Hier amüsiert sich Belgrads Jugend, bei House- und Technoklängen und elektronisch aufgemotzter Zigeunermusik, die unter dem Label Ethno-Folk rangiert. Wenn nach Mitternacht der Schallpegel steigt und die Bässe wummern, dann erzittern die mächtigen Mauern der nahegelegenen Kalemegdan-Festung.
Tagsüber begrüßen dort die Büsten von berühmten Persönlichkeiten der serbischen und jugoslawischen Kultur die Besucher. Neben der monumentalen Skulptur des Siegers und dem Denkmal der Franzosen befinden sich dort ein Militärmuseum, das Jagd- und Forstmuseum, die Kunsthalle »Cvijeta Zuzoric«, einige kleinere Kirchen und der Belgrader Zoo. Von der Burg Kalemegdan bietet sich dem Besucher zudem ein herrlicher Panoramablick auf die Mündung der Save in die Donau, die Stadt und darüber hinaus auf die große Fläche Pannoniens. Kelten, Römer, Slawen, Bulgaren, Byzantiner und Ungarn herrschten über die Stadt, die in ihrer langen Geschichte auch Singidun, Alba Bulgarica, Fehérvár, Weißenburg, Castelbianco, Veligradon und Prinz-Eugen-Stadt genannt wurde. Thomas Albertsen

Artikel vom 03.03.2007