27.02.2007 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Jan Ullrich rechnet ab und macht Schluss

Das einstige Rad-Idol folgt seiner »inneren Stimme«

Hamburg (dpa). Mit einer Generalabrechnung mit Verbänden, Funktionären und Medien hat Jan Ullrich einen Schlussstrich unter seine aktive Radsport-Karriere gezogen.Jan Ullrichs Frau Sara Steinhauser war unter den Zuhörern. Foto: dpa
Acht Monate nach seiner Suspendierung unmittelbar vor der Tour de France brach der unter Dopingverdacht stehende Olympiasieger von 2000 sein Schweigen und wies die Anschuldigungen erneut zurück. »Ich habe in meiner Karriere nicht betrogen und niemanden geschädigt«, betonte der 33-Jährige in Hamburg.
»Ich beende heute meine aktive Karriere. Ich habe auf meine innere Stimme gehört«, sagte der Wahl-Schweizer, der nach seinem Sieg bei der Tour de France 1997 zum deutschen Sport-Idol der Qualität von Boris Becker oder Michael Schumacher aufgestiegen war. Nun zieht er sich vom Leistungssport zurück, den er seit seiner Suspendierung am 30. Juni 2006 nicht mehr ausgeübt hatte.
Bei seinem letzten Auftritt, den auch seine Entdecker Peter Sager und Peter Becker sowie die Familie verfolgten, kam Ullrich noch einmal ins Schwitzen. Er nahm die Hürde aber ziemlich souverän und wirkte bei seinen Ausführungen (»Gott weiß, das sind meine Gedanken«) zeitweise charmant. Seine angeblichen Doping-Verwicklungen thematisierte er während des 45-Minuten-Auftritts nicht näher: »Wie es zum Tour-Ausschluss kam, weiß ich bis heute nicht. Es war der schwärzeste Tag meiner Karriere. Es gab eine beispiellose Vorverurteilung durch einen Teil der Presse und der Verbände«. Die Suspendierung und spätere Kündigung durch T-Mobile nannte er »überzogen«.
Konkret attackierte er Verbands-Präsident Rudolf Scharping, den gegen ihn prozessierenden Anti-Doping-Kämpfer Werner Franke (»zerstreuter Professor«), »einige schwarze Schafe« der Presse sowie die UCI. »Der große Weltverband hat die Verantwortung, die Drecksarbeit auf die Landesverbände abgeschoben«, sagte Ullrich. Zuvor hatte er mit dem früheren Verteidigungsminister Scharping abgerechnet: »Er war einer der größten Schulterklopfer. Es ist schlecht für den deutschen Radsport, wenn solche Leute ohne Leidenschaft und Liebe für den Sport bestimmen können, was läuft.« Scharping hatte von »dem großen Schaden« gesprochen, den Ullrich der Sportart zugefügt habe. »Wo war denn der deutsche Radsport vor zehn Jahren?«, fragte Ullrich provozierend.
Nach seiner Erklärung verließ er das Intercontinental Hotel an der Alster, ohne Fragen zu beantworten. Einen weiteren Auftritt hatte er am Abend in der ARD-Talkshow Beckmann - gegen Honorar. Auf seine Zukunft freue er sich: »Für mich fängt das Leben erst an. Ich bin ein glücklicher, gesunder und hoffentlich auch junger Mann, der weiß, was er will.« Ullrich wird sich in Zukunft als »Berater, Werbeträger und Repräsentant« des österreichischen Zweitliga-Teams Volksbank verdingen. Dazu promotet er zwei Sportartikel-Firmen und kümmert sich um seine eigene Fahrrad-Produktion.
Dem einzigen deutschen Tour-Gewinner war wegen Doping-Verdachts von seinem T-Mobile-Team am 21. Juli 2006 gekündigt worden. Ullrich soll sich über Jahre bei dem spanischen Arzt Eufemiano Fuentes mit manipulierten Blutkonserven und Doping-Mitteln eingedeckt haben. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft dauern an und werden auch nach dem Rücktritt fortgesetzt.

Artikel vom 27.02.2007