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Viele zarte Wunder der Wüste
Der »Sandmann« von Swakopmund und die »Little Five«: Namibias Fauna bietet viel mehr als nur Elefant & Co.
Chris steckt den Kopf in den Sand. Es ist der steile Hang einer Düne in der Wüste Namib, und außer Sand gibt es hier scheinbar nichts. Doch Chris weiß mehr: Er kniet dicht über dem kleinen Loch. Mit den Fingern gräbt er darin - eifrig, aber vorsichtig und konzentriert.
Die Luft ist knochentrocken und angenehm warm. Am Fuße der Düne, neben den beiden Landrovern, stehen gespannt die Gäste des Naturführers. Die kleine Gruppe, darunter ein Lehrer, ein Zahnarzt, ein Student, eine Bankangestellte, eine Friseurin und zwei Kinder, kommt aus Deutschland. Leute, die nicht die geringste Vorstellung von dem haben, was sie in diesem Teil Namibias erwartet.
Auf keinen Fall werden sie die Antilopenherden, die Großkatzen oder Elefanten zu Gesicht bekommen, wie sie weiter im Norden Namibias Millionen Reisende in den berühmten Etosha-Nationalpark locken. Nein, so etwas wie die »Big Five« (Löwe, Leopard, Elefant, Büffel, Nashorn), mit denen Safari-Veranstalter im südlichen Afrika um Touristen buhlen, gibt es nicht in der kargen Küstenregion bei Swakopmund. Aber Chris gräbt zuversichtlich weiter.
Zwischendurch war er kopfschüttelnd aufgesprungen, hatte die Sandoberfläche der umliegenden Quadratmeter eingehend studiert, um sechs Meter weiter zielstrebig erneut ein Löchlein zu buddeln. Plötzlich hält er inne, wischt sich mit dem linken Oberarm den Schweiß von der Stirn: »Ich habe ihn«, sagt der »Sandmann« in gebrochenem Deutsch und strahlt in Richtung seiner Gäste. »Wollt Ihr ihn sehen?« - Natürlich wollen sie. Neugierig arbeiten sich die Jungen und die Älteren durch den tiefen Sand die Düne hoch.
Was dort auf der Hand des Naturführers sitzt, verschlägt wegen seiner Grazie zunächst allen die Sprache: »Das ist ein Netzfuß-Gecko«, erklärt Chris stolz. »Er gehört zu meinen ÝLittle FiveÜ. Und wenn wir etwas Glück haben, dann zeige ich Euch heute auch die anderen vier.«
Der Gecko, eine etwa zwölf Zentimeter lange nachtaktive Echse, blickt mit seinen überdimensionalen schwarzen Knopfaugen in die staunende Runde. Sein kleiner, rötlicher, sehr transparenter Körper steht hochbeinig auf vier Grabfüßchen, die aussehen wie winzige Schaufeln. Rückenpartie und Schwanz sind goldgelb gefärbt, die beiden Augenwülste in kräftigem Dunkelblau. »Dieses Wunderwerk der Natur gibt es auf der ganzen Welt nur hier«, erklärt Chris, während er das seltene Tier schützend in seinen Körperschatten zieht. »Ihr solltet ein Foto machen. Aber es muss schnell gehen, sonst überhitzt der kleine Kamerad.«
Im nächsten Augenblick wird der Gecko unruhig. Er deutet damit unmissverständlich an, dass er sich bei Tageslicht nicht wohl fühlt. Chris respektiert das und bugsiert ihn behutsam zurück in die Erdhöhle.
Die großen Sanddünen zwischen Swakopmund und Walvis Bay, das »Büro« des Naturführers Christopher Nel, wie er selbst sagt, sind die westlichsten Ausläufer der Wüste Namib. Sie enden direkt am Atlantik. Wegen der extremen klimatischen Verhältnisse (hohe Temperaturschwankungen, niemals Regen) ist hier ein sehr sensibler Naturraum entstanden. Sämtliche Feuchtigkeit, die die stark spezialisierte Flora und Fauna am Leben erhält, entstammt den Küstennebeln, die sich alle paar Tage an Pflanzen und Tieren niederschlagen. Einige Tropfen reichen aus, um eine Nahrungskette aufzubauen, in der auch der Netzfuß-Gecko sein Plätzchen hat.
Chris Nel erklärt die Zusammenhänge detailverliebt und verständlich auch für Kinder. Das macht er mit soviel Witz und biologischem Sachverstand, dass selbst Menschen, die sich sonst weniger für Reptilien, Insekten, Spinnentiere und Botanik interessieren, fasziniert an seinen Lippen kleben: »Hier zum Beispiel haben wir den Toyota-Busch«, betont er und deutet auf ein recht armseliges Gestrüpp. Der Lehrer will natürlich sofort wissen, woher der seltsame Name stammt. »Wenn du davon ein paar Blätter in der Hand zerquetscht, dann fließt daraus wertvolles Trinkwasser. Das brauchst du, wenn dir dein Toyota in der Wüste verreckt«, erklärt Chris. Dann könne der Busch ja genauso gut Landrover-Busch heißen, meint der Lehrer. »Nein«, sagt Offroad-Fan Chris schmunzelnd: »Der Landrover verreckt ja nicht...«
Das mögen andere anders sehen - aber die Lacher hat Chris auf seiner Seite. Als sie verklungen sind, greift der Naturführer zu einem kleinen Knäuel aus Fasern, Blattresten und Partikeln, das ihm neben dem Busch am Fuße der Düne aufgefallen war. »Was ihr seht, ist Käfer-Müsli«, sagt er. »Davon ernähren sich in der Namib die Termiten, Silberfische und Klopfkäfer. Von denen wiederum leben die größeren Tiere.« Zu denen zählen auch Christophers »Little Five«, die kleinen Riesen der Wüste. Sie auf den weiten, vom Wind geformten, ständig veränderten und optisch doch nahezu identischen Sandhängen zu finden, hat er sich zur Aufgabe gemacht. Um immer auf dem neuesten Stand zu sein, liest er aufmerksam die »Buschmann-Zeitung«. So nennt Chris die von feinsten Abdrücken durchsetzte Oberfläche der Dünen. Unsichtbar für jedes ungeschulte Auge verraten ihm diese Spuren, welche Tiere wann wohin gelaufen sind. Und dann hat der Sandmann sie plötzlich in der Hand, aufgegriffen scheinbar aus dem Nichts.
Neben dem Netzfuß-Gecko spürt der 37-Jährige so auch die Schaufelnasen-Echse auf, die wie ein Fisch durch den Sand taucht. Oder den Sidewinder, eine kleine Schlange, die sowohl den Gecko gerne verzehrt als auch die Schaufelnasen-Echse.
Im selben Biotop lebt die Weiße Dame - eine Spinne, die bei Gefahr ihre Beine anziehen und als Kugel blitzschnell die Düne hinabrollen kann. Wenn Sie Pech hat, wartet unten das hungrige Wüstenchamäleon. Das sitzt am liebsten getarnt im Toyota-Busch und wartet auf saftige Klopfkäfer, die »wandelnden Wasserflaschen« der Wüste. Oft hat Chris davon einige als Lebendfutter dabei und führt seinen Gästen vor, wie das Chamäleon sie per Schleuderzunge »abschießt«.
Mit seinen »Living desert adventures« will Chris die eigene Existenz sichern, aber gleichzeitig eine Lobby aufbauen für das weltweit einmalige Biotop, denn die Dünen von Swakopmund sind bedroht - von Industrieansiedlungen, Straßenbau, Zivilisationsmüll und nicht zuletzt von »Abenteuer-Veranstaltern«, die mit Geländewagen und Motorrädern wenig zimperlich durch die Wüste donnern. Ohne Rücksicht auf die zerbrechliche Wunderwelt der »Little Five«. Markus Poch
www.living-desert-adventures.comwww.namibia-tourism.com

Artikel vom 17.03.2007