26.02.2007 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Schülern nützliche Zeit
zur »Bewährung« geben

Vortrag des Pädagogen Hartmut von Hentig

Bielefeld (Felix). »Ich wünsche, dass junge Menschen lernen, was eine Gemeinschaft ist - eine größere Gruppe als die Familie, in die sie heinein geboren sind, und eine weniger künstliche und zufällige als die Schulklasse, in die man sie hinein verwaltet hat«.

Der Mann, der sich solches wünscht, heißt Hartmut von Hentig, und er stellte auf Einladung des Jugendhilfe-Vereins »Wohngemeinschaften« 350 Besuchern im Oberstufenkolleg die Quintessenzen seines neuen Buches »Bewährung« vor.
Nick Dieckneite, Schüler des Helmholtz-Gymnasiums, sowie die Oberstufen-Kollegiaten Matthias Riedinger, Jana Holz und Mariella Löllmann führten zu Beginn in das 108-seitige Werk des 81-jährigen Pädagogen ein. Keine Lesung wollte von Hentig den Besuchern bieten, sondern mit ihnen ins Gespräch kommen.
Seine Vorschläge regen dazu an. Schließlich fordert von Hentig, der vom Jahr 1974 bis zu seiner Emeritierung 1987 die von ihm gegründete Laborschule sowie das Oberstufenkolleg geleitet hatte, tiefgreifende Veränderungen für das Schulwesen. Seiner Ansicht nach sollten Schüler in jener Zeit, die Eltern und Lehrer am meisten fürchten - die Pubertät -, nur eine Minimalbeschulung erhalten. »Das Lernen findet besser in einer Gemeinschaft von Gleichaltrigen außerhalb der Schule statt«, so von Hentig. Zudem fordert er ein soziales Pflicht-Jahr für alle unter 25-jährigen. Ein Jahr, in dem sich die Jugend bewähren soll, um die »nützliche Erfahrung zu sammeln, nützlich zu sein«.
Die Bewährung will er an die Stelle der Belehrung gesetzt wissen. Denn: »In der Pubertät ist Belehrung erwiesener Maßen untauglich«. Dass er diesen Gedanken nicht schon in seiner eigenen Schule umgesetzt hatte, habe ihn gewurmt, erklärte von Hentig den Besuchern, was ihn zu seinem jüngsten pädagogischen Werk motiviert habe. Von Hentig zieht dabei auch den wegfallenden Wehr - und Zivildienst mit ins Kalkül. Doch mehr noch treibt ihn an: »Wir ziehen in unserer Schule intellektuelle Gespenster hoch - und daraus möchte ich wieder Menschen machen.«
Auch geht seine Kritik dabei - und das mag überraschen - vor allem in Richtung der bildungsnahen Schichten. Von Hentig, der zu den renommiertesten Pädagogen Deutschlands zählt, wünscht sich vom Grundgedanken her »eine andere Form des Lernens«. »Ich werde in der Schule hergestellt, statt dass ich mich entwickle«, bemängelt er eine zu einseitige, zu stromlinienförmige Ausrichtung auf Karriere. Schüler sollten stattdessen das Gefühl erleben, dass es um sie und ihre Sache gehe.

Artikel vom 26.02.2007